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„Der Fliegende Holländer“ als Fantasy-Groteske und Zombie-Revue

VonRedaktion

Dez 1, 2022

Von Ingrid Müller-Mertens

„Ein Abend wie ein Faustschlag“ resümiert Kai Luehrs-Kaiser in rbbKultur über die Inszenierung von Richard Wagners „Der Fliegende Holländer“ in der Komischen Oper Berlin. Dem kann man nur beipflichten. Treffsicher ausgeteilt von Herbert Fritsch, dessen grellbunte, groteske und überaus vergnügliche Inszenierungen in der Berliner Volksbühne Kult waren und inzwischen auch international Furore machen.

Der gern auch als „Meister des theatralen Wahnwitzes“ Gefeierte widmet sich nun also einer Opern-Ikone von Richard Wagner. Bisher in der Komischen Oper weitgehend unbeachtet. In den 1960er Jahren gab es einen „Holländer“, 2010 kurzzeitig die „Meistersänger“. Unbelastet von jeglicher Wagner-Tradition konnte man sich also an eine dem Stil des Hauses adäquate Deutung machen. Und das heißt natürlich Musiktheater von höchster musikalischer und schauspielerischer Qualität – aber nichts ist heilig! Alles wird dialektisch hinterfragt und auf den Punkt genau interpretiert.

Auch wenn es vielleicht dem einen oder anderen Wagnerianer missfallen könnte, Fritsch bringt eine hinreißende, radikale „Holländer“-Komödie auf die Bühne. Eine amüsante Mischung aus „Fluch der Karibik“ und burlesker Revue. Auch wenn Wagner hier in seinem Erstlingswerk bereits deutlich sein Lebensthema postuliert: Erlösung im Tod durch die Liebe, realisiert Fritsch die düstere Seefahrersaga gänzlich ohne Erlösungspathos, Schauerdramatik und Bayreuther Gloriole.

Blutrote Segel, eine untote Besatzung und ein verfluchter Kapitän – der fliegende Holländer ist dazu verdammt auf ewig über die Weltmeere zu kreuzen. Mit seiner Geistermannschaft verbreitet er Angst und Schrecken unter den Seeleueten. Alle sieben Jahre darf er an Land zurückkehren, um die Liebe einer bis in den Tod treuen Frau zu gewinnen und so Erlösung zu finden. Doch seine Hoffnung, diese eine zu finden schwindet, er wünscht sich den Tod. Da trifft er auf Kapitän Daland und seine wackere Besatzung, die mit ihrem Schiff in einer Bucht Unterschlupf vor dem wütenden Sturm gefunden haben.

Geblendet von den Goldschätzen an Bord des gespenstischen Schiffs, sieht Daland in dem Holländer schon einen reichen Schwiegersohn und offeriert ihm seine Tochter Senta, Die wiederum ist seit ihrer Kindheit durch ein Gemälde im heimischen Wohnzimmer in geradezu hysterischer Verzückung für den sagenumwobenen Verdammten entflammt und besessen von der fixen Idee, ihn zu erlösen. Dargestellt von einer Senta, wie man sie wohl so überwältigend kaum je erlebt hat. Daniela Köhler – sie singt im kommenden Jahr die Brünnhilde in Bayreuth – meistert die Rolle mit atemberaubender Bravour. Günter Papendell als Holländer – zwischen Johnny Depp und einem psychopathischen Wiedergänger charmant hin- und herwandelnd – brilliert in roter Perücke und verschlissener Barockpracht mit erotischer Präsenz. Dass die schwärmerische Senta sich mit Inbrunst für ihn opfert ist total verständlich.

Aber auch alle anderen Akteure überzeugen in Höchstform, darunter Jens Larsen (Daland), Caspar Singh (Steuermann), Brendan Gunnell (Erik) und Karolina Gumos (Amme). Der bekanntlich hervorragende Chor der Komischen Oper (Einstudierung David Cavelius ) übertrifft sich wieder einmal selbst. Entzückend die herumzappelnden Spinnmädchen in Manga-Kostümen, die Matrosenmannschaft als fröhliche Gay-Parade oder die Holländer-Crew im liebevoll stilisierten Zombie-Outfit (Kostüme Bettina Helmi, Bühnenbild Herbert Fritsch). Das Orchester der Komischen Oper unter Dirk Kaftan am Pult zaubert einen extrem farbigen Sound, angepasst dem effektvollen, plakativen Geschehen auf der Bühne.

Ein Opernerlebnis der anderen Art – dessen Wucht man sich nicht entziehen kann.

Fotos: Berliner Umschau/Ingrid Müller-Mertens

„Der fliegende Holländer“ von Richard Wagner

Mit Günter Papendell, Jens Larsen, Daniela Köhler, Brenden Gunnell u.a. /Chorsolisten u. Komparserie der Komischen Oper Berlin / Vocalconsort Berlin /Orchester der Komischen Oper Berlin, Musikalische Leitung Dirk Kaftan

Komische Oper Berlin

Behrenstraße 55-57
10117 Berlin-Mitte

weitere Vorstellungen: 3., 6., 10., 14., 17., 25. und 29.Dezember

https://www.komische-oper-berlin.de/

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