Eine Buchbesprechung und Spurensuche von Margrit Manz
Von 1989-94 hatte die Sinologin, Übersetzerin und Schriftstellerin Susanne Hornfeck eine Stelle in der Fremdsprachenabteilung der National Taiwan University angetreten. Den Anfang in Taipeh, der Hauptstadt der nselrepublik Taiwan, beschreibt sie sie als harte Erfahrung. „Ich bin aus der Zeit gefallen. Überall fühle ich mich einen Kopf zu groß, bin sofort als Ausländerin erkennbar. Eine feuchte Hitze überzieht meinen Körper mit einem Schweißfilm, unvermittelte Regengüsse durchweichen die Schuhe, Moskitos stürzen sich auf unbedeckte Körperstellen. Um in die Uni zu kommen, muss ich zweimal täglich die Stadt durchqueren, immer im Nahkampf mit dem chaotischen Verkehr.“
Ein Glück, dass sie dieses Abenteuer nicht alleine bestreiten muss. Ihr Mann, im Buch G. genannt, bietet ihr nicht nur Halt in der Fremde, sondern auch ein mentales Zuhause, das nur eine lang erworbene Symbiose möglich macht. Mit G. sind wieder Rituale in den Alltag eingekehrt, zum Beispiel der abendliche Gang mit Zigarette und Müllbeutel. Er versteht sich auch ohne weitreichende Sprachkenntnisse mit den Menschen in der neuen Umgebung. G. ist Maler, also ein Augenmensch, und sieht die Schriftzeichen in ihrer ursprünglichen Bedeutung, als Wasser, Mond und Sonne. Auf dieser Ebene kann er mühelos mit dem Hausmeister plaudern, irgendwie geht’s um Familie, Hühnerhaltung und Gemüseanbau.
Dass bald noch eine weitere Hausgenossin hinzukommt, macht aus dem Zweier- ein Dreierbündnis und ermöglicht die perfekte Balance, eine fremde Kultur bewohnen zu können.
Die Wildkatze Shaobai wird der Autorin ausgeliehen, um Plagegeister, wie Ratten und Mäuse fernzuhalten. Sie ist bei weitem kein Schmusetier, sondern kratzbürstig, unnahbar und verteidigt ihren Willen mit ausgefahrenen Krallen.
Ihre Streifzüge durch die benachbarte Wildnis sind unberechenbar. Sie kommt und geht wie sie will. Und doch entsteht eine Art Kommunikation zwischen der Autorin und ihr. „Ihr kann ich von meinem anstrengenden Tag erzählen und sie spricht zurück. Sie miaut in langen, modulierten Phasen. So reden wir miteinander.“ Trotzdem oder gerade deswegen bleibt Shaobai immer eine echte Katze und wird nie zum Lebensersatz. Der Name Shaobei bedeutet übrigens „wenig Weiß“ und hat mit einem weißen Fleck unter dem Schnauzbart zu tun.
Nach und nach erwärmt sich Shaobai für ihre menschlichen Mitbewohner und erwartet die Autorin schon, wenn sie abends von der Universität kommt. Doch will sie nicht sofort begrüßt werden, sondern klettert erst den Baum hinauf, um sich von oben gebührend zu präsentieren. Auch G. wird umworben. Wenn Shaobai seine Ischias-Schmerzen spürt, schmiegt sie sich heilend an seine Hüfte.
Einen „Wildling“ zähmen?
Um das mal klarzustellen, auch wildlebende Katzen verirren sich manchmal in die Nähe des Menschen. Doch im Gegensatz zur Hauskatze kommen sie wunderbar ohne seine Zuwendung zurecht. Wildkatzen, wie Shaobai, lassen sich nicht mit jedem ein. Sie sind nicht wirklich auf den Menschen als Sozialpartner geprägt. Gewöhnung ist erlernbar, und das dauert ein Leben lang. So hat Shaobai gelernt, mit ihren beiden Mitbewohnern zu leben! Die größte Liebe, die man solch einem Tier entgegenbringen kann, besteht darin, dass man akzeptiert, den Vierbeiner nie richtig „besitzen“ zu können! Die Gegenliebe funktioniert nur unter Wahrung einer körperlichen Distanz. Das bedeutet nicht, dass die Katze ihre Menschen weniger gern hat. Zum Glück sind Katzen ein Ausbund an Neugier, man kann sie immer wieder mit etwas „Neuem“ verführen.
Obwohl Shaobai eine Haupt- oder Mittlerrolle im Buch einnimmt, wird hier keine nette Katzengeschichte erzählt, sondern in 32 leichtfüßigen – oder sollte ich sagen – samtpfotigen Kapiteln eine Hommage an das Leben und das Glück gemacht. Denn es ist nichts anderes als Glück, das Leben genau am richtigen Ort und zur richtigen Zeit verbringen zu dürfen. Fünf Jahre, die abenteuerlich und herausfordernd waren und noch lange nicht fertig geschrieben sind.
Vom Sinn des Fremdseins erzählen
Im Buch „Taiwankatze“, das vor kurzem im Drachenhausverlag erschienen ist, erzählt Susanne Hornfeck über ihre Erfahrung, vielfältige Grenzen zu überschreiten. Grenzen, die sowohl im mentalen wie auch im physischen Bereich eigentlich fest eingeschrieben zu sein scheinen, deren Überschreitung dann im besten Fall die Entdeckung von unbekannten Zwischenorten oder fremden Kulturen ist. Doch wie sagt man so schön: Nichts ist aus sich heraus und notwendig fremd. Fremd ist nur, was als solches erlebt wird. Solch ein Gefühl also umzuwandeln, in etwas Akzeptables oder sogar Vertrautes ist manchmal Schwerstarbeit, für Menschen genauso wie für Tiere.
Susanne Hornfeck weiß eine Menge über das Leben in Taipeh zu berichten, etwa, dass Taiwaner auf dem Friedhof Angst vor hungrigen Geistern haben oder dass große schwarze Vögel, Drongos genannt, täuschend echt Klingeltöne von Handys nachahmen können. Sie erklärt, warum es Filmvorführungen vor der Statue des Erdgottes gibt, der wohl Kungfu-Darbietungen bevorzugt und warum ihre Studenten total irritiert auf Goethes Vers „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche“ reagieren. Dass im Tale Hoffnungsglück grünet, ist für sie nicht nachvollziehbar, denn ein Frühlingserwachen nach einem kalten Winter kennen die Taiwaner nicht. Es ist entweder heiß oder weniger heiß auf der Insel.
„Ein neues Leben aufs Gleis setzen“
Susanne Hornfecks Interesse an China wurde schon als Schülerin geweckt, als ihr ein chinesisch-deutscher Gedichtband in die Hände fiel. Die fremdartige Schrift faszinierte sie. Damals konnte sie nicht wissen, dass diese Leidenschaft für ein ganzes Leben reichen würde. Hornfeck studierte später Sinologie, Germanistik und Deutsch als Fremdsprache in Tübingen, London und München. Danach ging sie für fünf Jahre als DAAD-Lektorin nach Taipeh, um Deutsch zu unterrichten. Unterdessen sind über dreißig Jahre vergangen und es war höchste Zeit, ihren Aufenthalt in Taipeh und ihre Rückkehr nach Schliersee noch einmal literarisch aufzurufen.
Weiter „mit eingezogenem Kopf“
„Die Inselrepublik, in die wir nach unserem Aufenthalt von 1989 bis 1994 immer wieder zurückgekehrt sind, ist über die Jahre eine andere geworden. Taiwan hat sich nach den Rangeleien der Anfangszeit zu einer mustergültigen Demokratie entwickelt. In Sachen Diversität können wir von Taiwan nur lernen. Eine ehemalige Hackerin ist die erste Transgender-Ministerin der Welt. Zu den Naturkatastrophen, wie Erdbeben, Taifune, Überschwemmungen und Erdrutschen ist jetzt die menschengemachte Bedrohung vom gegenüberliegenden Ufer hinzugekommen. Das wandelt natürlich auch die Menschen. Der Optimismus aus den Jahren des Aufbruchs ist zu einer Art „Schockstarre“ geworden und einem Leben „mit eingezogenem Kopf“ gewichen“. So fasst Susanne Hornfeck ihre Gedanken zur aktuellen Situation in Taiwan zusammen.
Taiwans wechselvolle Geschichte von einer Provinz, über eine Kolonie und Diktatur bis hin zur Demokratie war ein mühevoller Prozess. Immerhin war das Kriegsrecht in Taiwan von 1949-87, dass längste das jemals in der Welt verhängt wurde. Seit Ende der 1980er hat sich das Land zu einer der fortschrittlichsten Demokratien Asiens entwickelt mit einer gesetzlich verankerter Ehe für alle und einer vorbildlichen Gesundheitsversorgung. In nur wenigen Jahren wurde die Gründung neuer Zeitungen und Zeitschriften liberalisiert.
Zahlreiche sozialer Bewegungen forderten immer wieder politische, aber auch gesellschaftliche Reformen ein. Auch der Umweltschutz wurde dabei zu einem wichtigen Thema. Unterdessen hat Taiwan durch seine Halbleiter- und Computerchipproduktion weltweit eine große wirtschaftliche Bedeutung erlangt. Die Probleme Taiwans liegen also weniger in der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern in der geopolitischen Weltlage.
Kompliment an die Autorin
Kurzum, es macht einfach Spaß in den Erinnerungen der Autorin zu schwelgen. Durch die Katze Shaobai wird gekonnt eine Brücke zwischen ihnen geschlagen. Gegenteiliger können wohl die Kulturen nicht sein, die taiwanische, wie sie vor dreißig Jahren war und in vielem noch heute funktioniert, und die Oberbayerische, die sicher auch ihr Kontinuum vorweisen kann.
Eine Neuorientierung nach ihrer Rückkehr blieb nicht aus und auch hier half die Katze, Routine in die Alltagsgeschäfte zu bekommen. Susanne Hornfeck macht deutlich, wie schwer es war, nach fünfjährigem Aufenthalt in Taipeh ins bayrische Leben zurückzufinden. Als das Ehepaar beschlossen hatte, auch die Katze mit an den Schliersee zu nehmen, wussten sie nicht, wie Shaobai das Fremdsein verkraften würde. Vielleicht ist es ihrem eigenwilligen Charakter zu verdanken, dass sich die Zumutungen der Ankunft und die Neugier auf Neues die Waage hielten.
Shaobai hatte sich am Schliersee gut eingelebt, obwohl sie ihre Wildheit behalten hat. Das hat ja gerade ihren Charakter ausgemacht. Leider ist sie unterdessen aus Altersschwäche gestorben. Ob die Autorin sich noch eine neue Katze angeschafft hat, ist ungewiss.
Mit der „Taiwankatze“ ist ein poetisches Buch über die Freundschaft zwischen Mensch und Tier entstanden. Eine wunderbare Lektüre, ein Lesevergnügen der Extraklasse.
P.S. Das erste Katzencafé in Taipeh
Die meisten Katzencafés der Welt befinden sich in Japan. Mittlerweile können Menschen in über 300 Cafés in ganz Japan ihren Kaffee trinken und dabei eine Katze streicheln – wenn diese es zulässt.
Katzencafés sind in Japan vor allem deshalb so beliebt, weil viele Wohnungen dort sehr klein sind und sich nicht für die Katzenhaltung eignen. Der Trend stammt allerdings aus Taiwan, wo 1998 in Taipeh das erste Katzencafé der Welt eröffnete.
Fotos: © Archiv Berliner Umschau/Müller-Mertens
Margrit Manz ist Journalistin und Redakteurin mit Themenschwerpunkt China. Seit über 20 Jahren berichtet sie über Wirtschaftsbeziehungen und Kulturaustausch, informiert über Tourismus und regionale Küche, rezensiert neue Bücher. Ihre Texte werden regelmäßig in Print- und Online-Magazinen in Deutschland und der Schweiz veröffentlicht, u.a. im Magazin RUIZHONG der Gesellschaft Schweiz-China und auf der Internetplattform China Report https://manz-chinareport.com/ Margrit Manz ist Mitglied im Club der Tourismus-Journalisten CTOUR.