Blühende Pflaumenbäume, Éragny, 1894 Foto: Heritage Images / Fine Art Images / akg-images
Camille Pissarro (1830-1903) gilt „als Vaterfigur des französischen Impressionismus“, sagt Nerina Santorius, Kuratorin und Sammlungsleiterin im Potsdamer Museum Barberini anläßlich der Eröffnung der aktuellen Ausstellung „Mit offenem Blick. Der Impressionist Pissarro“.


Garten und Hühnerstall von Octave Mirbeau, Les Damps, 1892, Museum Barberini, Potsdam (links),/Frühling in Éragny, 1890, Denver Art Museum, © William O’Connor, Denver Art Museum (rechts)
Vor allem seine Landschaftsauffassung sei ein Alleinstellungsmerkmal unter den Impressionisten. Er habe immer den Blick darauf gerichtet, „wie die einfache Bevölkerung unterschiedliche Alltagslandschaften gestaltet und prägt: durch das Leben und Arbeiten des Einzelnen im Einklang mit der Natur ebenso wie durch die Bewegung der Menschenströme in den großen Städten“, so Santorius. . . . „Wir zeigen ihn aber auch als Anarchisten, dessen Weltanschauung seine Kunst prägte und der ein großer Netzwerker war“. Den kleinen Dingen des Alltags Schönheit abzugewinnen, war für Pissarro ein zentrales Anliegen seiner künstlerischen Arbeit.

Virginia Museum of Fine Arts, Richmond, Collection of Mr. and Mrs. Paul Mellon
© Sydney Collins, Virginia Museum of Fine Arts
Pissarros künstlerische Anfänge lagen in der Karibik und in Südamerika. Diese Wurzeln verbanden sich mit einem malerischen Interesse an ländlichen Alltagsszenen und Sympathien für den Anarchismus. 1855 siedelt Camille Pissarro nach Frankreich über. Auf der Suche nach einer neuen, zeitgemäßen Ästhetik schreibt er sich an der privaten Académie Suisse in Paris ein, wo er Gleichgesinnte trifft, darunter Claude Monet und Paul Cézanne. Camille Corot erweist sich als wichtiger Mentor für den jungen Künstler. In den 1860er Jahren arbeitet Pissarro in der Tradition der Schule von Barbizon, malt unter freiem Himmel im Wald von Fontainebleau.Seine Motive sind oft schlicht, ihr Ton leise. Erst auf den zweiten Blick offenbart sich der Reiz ihrer aufmerksam beobachteten Details und sorgsam abgestimmten Harmonien, der aus der respektvollen, von Idealismus geprägten Haltung des Künstlers, seiner Offenheit und Experimentierfreude erwächst. Die Themenvielfalt seiner Bilder umfasst Landschaften und Gärten, Familienportraits, Szenen des bäuerlichen Lebens oder urbane Motive wie die Häfen der Normandie oder die belebten Straßen von Paris.
Er öffnet sich für die Anliegen der Neo-Impressionisten und stellt – anders als Monet und Renoir – auch mit den Jüngeren aus.
Er schließt sich mit Malerkollegen wie Monet, Renoir und Sisley zusammen und initiiert mit ihnen 1874 die erste Impressionisten-Ausstellung. Bis 1884 folgen sieben weitere Ausstellungen; als einziger ist Pissarro bei allen acht Schauen vertreten, für die er als aktiver Netzwerker eine wichtige Rolle einnimmt, die locker verbundene Gruppe zuammenhält, Kontakte pflegt, neue Teilnehmer



Jeanne Pissarro (Minette) um 1874, The Ashmolean Museum, University of Oxford, Vermächtnis Esther Pissarro(li), Raureif, eine junge Bäuerin macht Feuer, 1888, Sammlung Hasso Plattner, Museum Barberini, Potsdam (Mitte), Die Schäferin, 1881, Musée d’Orsay, Paris, Vermächtnis Isaac de Camondo, 1911, © bpk | GrandPalaisRmn | Hervé Lewandowsk (re)
Auch politisch zielt Pissarro auf eine Gesellschaft der Gleichberechtigung aller Menschen. Eine Schlüsselrolle dabei soll den selbstständig arbeitenden Bauern zukommen, die Pissarro, selbst auf dem Land und nicht in der Metropole Paris lebend, immer wieder abbildet: Würdevoll und mit Respekt, eingebunden in den Rhythmus und Kreislauf der Jahreszeiten, inszeniert er Bäuerinnen und Bauern beim Heumachen, Ernten, Pflanzen und Säen. In diesen Bildern liegt auch eine gesellschaftliche Utopie: der Traum vom selbstbestimmten Leben und der gemeinschaftlichen Arbeit im Einklang mit der Natur. Tatsächlich war der von seiner Frau Julie bewirtschaftete eigene Nutzgarten in Éragny- sur-Epte jahrelang Existenzgrundlage der Familie Pissarro, bis diese von den Gemäldeverkäufen des Künstlers leben konnte.


Boulevard Montmartre, Abenddämmerung, 1897, Sammlung Hasso Plattner, Museum Barberini, Potsdam (li), Avenue de l’Opéra, 1898, Musée des Beaux-Arts de la Ville de Reims, Vermächtnis Henry Vasnier, © Christian Devleeschauwer (re)
Erst spät in seinem Schaffen widmet sich Pissarro dem Thema der Stadtlandschaft. In mehreren Serien hält er das geschäftige Treiben an den Häfen von Rouen, Dieppe und Le Havre in der Normandie fest und wendet sich ebenso der Metropole Paris zu.
Die Straßen, Plätze und Brücken in seinen insgesamt 125 Ansichten der Hauptstadt bilden eine Projektionsfläche für alles Atmosphärische – bevölkert, gestaltet, belebt von unzähligen Menschen, der aktiven Kraft, die Pissarro Zeit seines Lebens mit seinem leisen, zurückgenommenen Humanismus dokumentierte.
Ausgehend von den sieben Gemälden Pissarros der Sammlung Hasso Plattner gibt „Mit offenem Blick. Der Impressionist Pissarro“ anhand von über 100 Werken aus 50 internationalen Sammlungen einen fundierten Überblick über Pissarros gesamtes Schaffen und zeigt zugleich die sozialutopischen Ideen seiner Kunst. Neben dem Denver Art Museum als Kooperationspartner der Schau konnten zahlreiche renommierte US-Sammlungen als Leihgeber gewonnen werden, darunter das Art Institute of Chicago, das J. Paul Getty Museum, Los Angeles, das Clark Art Institute, Williamstown, das Philadelphia Museum of Art, die National Gallery Washington und das Metropolitan Museum of Art, New York. Zu den weiteren internationalen Leihgebern gehören das Van Gogh Museum, Amsterdam, das Musée d’Orsay, Paris, Ordrupgaard, Kopenhagen, das Szépművészeti Múzeum, Budapest, das Courtauld und die National Gallery, London, sowie die Gallery of Ontario, Toronto.

© David von Becker
Die Ausstellung ist die zweite Kooperation zwischen dem Museum Barberini und dem Denver Art Museum, wo die Schau vom 26. Oktober 2025 bis zum 8. Februar 2026 gezeigt wird. „Mit offenem Blick. Der Impressionist Pissarro“ betont nun die tiefe Humanität, mit der Pissarros Werke die Gegenwart in all ihren unscheinbaren Aspekten würdigen, und lädt dazu ein, sein Werk mit derselben genauen Beobachtungsgabe zu entdecken, mit der Pissarro seinen unmittelbar erlebten Alltag auf die Leinwand brachte.