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„Hamlet“- gefeierte Wiederentdeckung an der Komischen Oper

VonRedaktion

Apr 18, 2023

Szene mit Karolina Gumos als Gertrude und Tijl Faveyts als Claudius, Chor und Komparserie. Foto: Ingrid Müller-Mertens

Von Klara Berger

„Hamlet“ von Ambroise Thomas – ein seltener Abend der ganz großen Oper und der ganz großen, vor allem jungen Stimmen. Die für ihre Wiederentdeckungen in Vergessenheit geratener Werke bekannte Berliner Komische Oper hat sich wieder einmal selbst übertroffen

Begeisterte Ovationen nach gut dreieinhalb Stunden musikalischen Hochgenusses und – was es lange nicht mehr gab – frenetischer, nicht enden wollender Zwischenapplaus, vor allem für Liv Redpaths atemberaubende Wahnsinnsarie der Ophélie „À vos jeux, mes amis“. Ebenbürtig der einstigen Bravourarie von Maria Callas. Zumal die junge amerikanische Sopranistin auch optisch die ideale Ophelia verkörpert. Eine so strahlende Stimme, mühelos auch in höchsten Lagen und atemberaubenden Koloraturen hat man wohl lange nicht mehr gehört.

Von li: Liv Redpath mit Huw Montague Rendall und Karolina Gumos. Foros: Ingrid Müller-Mertens

Musikalisch gilt „Hamlet“ (1886 uraufgeführt) als eine der großen lyrischen Opern des 19. Jahrhunderts in Frankreich. Das Libretto von Michel Carré und Jules Barbier basiert auf der Adaption von Shakespeares Hamlet durch Alexandre Dumas dem Älteren. Ophélie wird hier zur gleichberechtigten Hauptfigur und entgegen der Urfassung, wird Hamlet am Ende nicht sterben, sondern zum König ausgerufen.

Ambroise Thomas (1811-1896), ein Zeitgenosse Richard Wagners und Jaques Offenbachs, erkundet in seiner poetischen und komplexen Musiksprache die Seelenwelten und vor allem die innere Zerrissenheit seiner Hauptfiguren Hamlet und Ophélie. Die junge Regisseurin Nadja Loschky inszeniert diese Oper mit viel Sensibilität und Einfallsreichtum. Von gefällig choreografierten großen Gesellschaftsszenen, vergnügten Tänzen über schaurige Friedhofsstimmung bis hin zu musikalisch intimen wie grandios dramatischen Szenen wird alles aufgeboten, was die französische Oper Ende des 19. Jahrhunderts so besonders macht.

Stumme Doppelgänger verdeutlichen die komplizierten Seelenzustände der Hauptfiguren pantomimisch zwischen Wahn, Traum und Realität.

Seltsame Herren, very british im Businesslook, mit und ohne Köpfe unterstreichen die surreale Stimmung. Auch die in der französischen Oper dieser Zeit obligatorische Balletteinlage darf nicht fehlen (Choreographie Thomas Wilhelm).

Die Handlung von Shakespeares großer Rachetragödie ist bekannt: Hamlet, der junge Prinz von Dänemark wird vom Geist seines Vaters aufgefordert, Vergeltung zu üben für den Mord, den der eigene Bruder an ihm begangen hat.

Von li: Huw Montague Rendall mit Liv Redpath,Jens Larsen und Karolina Gumos/Tijl Faveyts. Fotos: Ingrid Müller-Mertens

Kurz nachdem der König gestorben ist, verkünden Fanfaren die Hochzeit der Witwe Gertrude mit seinem Bruder Claudius. Hamlet weigert sich, den Feierlichkeiten beizuwohnen – zu sehr plagt ihn der Verlust, zu früh kommt die neue Heirat. Tatsächlich verrät der Geist seines verstorbenen Vaters Hamlet: Der neue König, sein Bruder Claudius, ist sein Mörder. Er fordert Hamlet auf, ihn zu rächen. Die Liebe zu seiner Verlobten Ophelia fällt Hamlets Rachewahn zum Opfer. Ophelia verliert darüber den Verstand und findet den Tod im Wasser.

Huw Montague Rendall mit Kjell Brutscheidt. Fotos: Ingrid Müller-Mertens
Der junge britische Bariton Huw Montague Rendall bietet als Hamlet nicht nur sängerische und darstellerische Glanzleistungen. Im Tragischen wie Grotesken ist er die Idealbesetzung des traumatisierten Dänenprinzen. Überzeugend auch Karolina Gumos als Gertrude und Tijl Faveyts als Claudius. Ebenso José Simerilla Romero als Laërte, Stephen Bronk als Polonius und Jens Larsen als der Geist des Vaters. Beeindruckend auch der von der Regie hinzu gedichtete Narr Yorick, eine Art Hamlets alter ego, dargestellt von Kjell Brutscheidt .

Der exzellente Chor (Leitung Jean–Christophe Charron) wandelt sich von der huldigenden Hofgesellschaft ganz in königlichem Purpurrot (Kostüme Irina Spreckelmeyer) zunehmend in eine Gruppe von düsteren Totengräbern, während das prunkvolle Schloss-Vestibül mit der imposanten Treppe nach und nach verfällt und schließlich mit wallenden Nebeln, aufgetürmten Erdreich und Totenschädel zum morbiden Friedhof wird (Bühnenbild Etienne Pluss).

Eine Entdeckung auch Marie Jacquot bei ihrem Debüt am Pult. Die 33-jährige französische Dirigentin gestaltet die lyrischen Passagen ebenso klangschön wie klanggewaltig die dramatischen und lässt dem Orchester und den Solisten viel Raum, sich optimal zu entfalten.

Sicher ein Wahnsinnsrisiko, diese vergessene Oper aufzuführen. Aber letzten Endes ein Wahnsinnserfolg.

Weitere Aufführungen am 23. und 28. April, 6., 14., 20. und 31. Mai sowie am 7. Juni.

www.komische-oper.de

Von Redaktion