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Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue

VonRedaktion

Jun 12, 2022
Barrie Kosky's All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue (2022) - Rezensionsmotiv

Foto: Monika Rittershaus

Von Katharina Zawadsky

An der Komischen Oper Berlin geht eine Ära zu Ende: Nach zehn gemeinsamen Jahren verabschiedet sich Barrie Kosky mit einer rauschenden Revue als Intendant und Chefregisseur von seinem Publikum und macht sich damit auch selbst ein überaus verdientes Geschenk.

Foto: Ingrid Müller-Mertens

Nach der Felsenstein-Ära der Nachkriegsjahre hat kein Intendant und Regisseur das Haus in der Behrenstraße radikaler verändert und mit seiner ganz speziellen, einmaligen „Handschrift“ und Hingabe nicht nur zum Publikumsmagneten sondern auch weltberühmt gemacht. Unter anderem mit zahlreichen Wiederentdeckungen und Neuinterpretationen von Werken aus der vielfältigen jüdischen Musiktheater-Kultur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, von Ball im Savoy über Die Perlen der Cleopatra und Frühlingsstürme bis hin zu Moses und Aron, von Jacques Offenbach und Emmerich Kálmán über Paul Abraham bis hin zu Arnold Schönberg, von Operette bis Zwölf-Ton-Musik. Während seiner Zeit in Berlin wurde Kosky zweimal zum Regisseur des Jahres gekrönt. Die Komische Oper erhielt 2013 unter seiner Leitung den Preis zum Opernhaus des Jahres sowie 2015 den International Opera Award in der Kategorie Ensemble des Jahres.

Kosky wäre nicht Kosky, wenn er nicht als fulminanten Abschluss seiner zehnjährigen Intendanz sein Publikum wieder einmal extrem überraschen und beglücken würde.

Fotos: Ingrid Müller-Mertens

Gemeinsam mit Dirigent Adam Benzwi und Choreograf Otto Pichler schlägt er ein vollkommen neues, in Europa noch weitgehend unbekanntes, Kapitel jiddischer Kultur auf: die US-amerikanische Unterhaltungskultur der 1950er- und 1960er Jahre.

Foto: Monika Rittershaus

War jüdisches Leben in den Vereinigten Staaten bis 1945 von der Nostalgie nach Europa geprägt, brach sich nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs ein neuer Optimismus Bahn. Nachdem die Nationalsozialisten die vielfältige jüdische Kultur in Europa vernichtet hatten, wurde sie nun in den Straßen New Yorks wiedergeboren, um alsbald die Clubs, Theater und TV-Studios des ganzen Landes zu erobern.

Foto: Ingrid Müller-Mertens

Eines der Epizentren dieser Explosion überschäumender Kreativität und Lebenslust war in den 1950er und frühen 1960er Jahren der sogenannte »Borscht Belt«, eine Ansammlung von Ferienhotels und -siedlungen in den Catskill Mountains nördlich von New York. Als Schauplatz durch den Kultfilm „Dirty Dancing“ bestens bekannt. In diesem »Las Vegas der Ost-Küste« verbrachten nicht nur viele New Yorker Juden ihre Sommerferien, hier entwickelte sich auch eine blühende Unterhaltungsbranche. Viele später in Hollywood unsterblich gewordene Künstlerinnen und Künstler wie Woody Allen, Barbra Streisand, Jerry Lewis, Joan Rivers oder Sammy Davis Jr. begannen in den Catskills ihre Karriere.

Aus den im „Borscht Belt“ aufgeführten von Jazz, Swing, Rock’n Roll und Klezmer inspirierten Shownummern eines Mickey Katz, einer Sophie Tucker oder der berühmten Barry Sisters wurde nun eine authentische, köstlich-komödiantische und ein bißchen verrückte und supersexy Revue zusammengestellt, die mitreißt und zu Herzen geht. Und ein bisschen Melancholie, Glitter und Kitsch im überbordenden Fünziger-Jahre Feeling darf auch sein.

Fotos: Ingrid Müller-Mertens

Jede Nummer präsentiert sich als Juwel im einzigartigen funkelnden Barrie-Kosky-Style. Und das geradezu andächtig zelebrierte „My way“ ebenso wie das überschäumende „Bei mir biste schön“ überwältigt das Publikum.

Die 21 teilweise neu arrangierten Shownummern aus Jazz, Swing und Klezmer werden dabei ausschließlich auf Jiddisch gesungen. Die jahrtausendealte Sprache der mittel- und osteuropäischer Juden spielt auch als Folge des Holocaust in Deutschland heute kaum noch eine Rolle. Für den gebürtigen Australier Barrie Kosky, Enkel jüdischer Einwanderer, eine Herzensangelegenheit.

Langjährige Wegbegleiter wie Dagmar Manzel, Katharine Mehrling, Max Hopp, Helmut Baumann, die Geschwister Pfister, Ruth Brauer-Kvam, Helene Schneiderman, Barbara Spitz und Sigalit Feig feiern gemeinsam mit Mitgliedern des Ensembles, dem zur mitreißenden Swing-Big-Band mutierten Orchester und der grandiosen Tanztruppe das Leben, die Liebe, die Musik – und natürlich Barrie Kosky. Das Publikum schließt sich mit frenetischem Beifall und stehenden Ovationen dankbar an.

Ein Leben ohne Barrie Kosky – schwer vorstellbar. Aber es gibt Hoffnung. Barrie Kosky wird seiner künstlerischen Heimat, nicht nur mit zwei neuen Regiearbeiten pro Spielzeit, sondern auch als Künstlerischer Berater verbunden bleiben. Aber das ist nur ein schwacher Trost.

Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue

Nächste Vorstellungen 12., 15., 18., 21., 23., 26. (2x) und 29. Juni
sowie 2., 6., 10. (2x) Juli

https://www.komische-oper-berlin.de/

Von Redaktion