Von Ronald Keusch
Viele Städte und Regionen Italiens sind schon von Touristen erobert worden. Zur Freude wie auch zum Leidwesen der Einheimischen. Und da braucht man nicht nur solche Hotspots wie das berühmte Venedig oder den Gardasee im Blick zu haben. Aber es gibt es noch, das ganz authentische Italien ohne große Pilgerströme von Touristen. Dazu gehört die norditalienische Region Emilia Romagna, die sich von den Apenninen bis zum Fluss Po im Norden erstreckt.
Eine große Zahl der Urlauber macht Naturtourismus im Po-Delta, unternimmt Kulturtrips nach Bologna und Ravenna und bevölkert vor allem die Strände an der Adriaküste. Aber schon knapp zwei Dutzend Kilometer von der Küste entfernt warten im Savio-Tal Orte und pittoreske Landschaften, die sich wie in einer Perlenkette aneinanderreihen.
Beginnen wir die Entdeckungsreise in dem kleinen Provinzstädtchen Bagno di Romagna. Wie in anderen Thermal-Orten der Region haben sich die Hotels hier auf Wellness spezialisiert und bieten vielfältige SPA-Anwendungen.
Seit diesem Sommer steht Forest Bathing auf dem Programm. Dahinter verbirgt sich ein neu eröffneter Wanderweg des Wohlfühlens durch den Wald. Die Grundlage für diesen Weg ist der seit 20 Jahren hier eingerichtete Naturpark. In diesem Wald des Wohlseins wird der Wanderer nicht allein gelassen, sondern ein Dutzend aufgestellte Pfähle mit Informationen spornen an und motivieren, die unzähligen Bäume, die Zypressen, Zedern, Linden, Eichen, Fichten und Schwarzkiefern bewusst wahrzunehmen.
Der Triumph des Dionysos
Die nächste Station der Perlenkette ist das alte und hübsche Apenninen Berg-Dorf Sarsina mit 2.000 Einwohnern auf den Hügeln der Romagna – die älteste Stadt im Savio-Tal.
Sie erlangte eine kleine Berühmtheit als Geburtsort des ersten römischen Komödiendichters Tito Maccio Plauto. Seit mehr als 60 Jahren werden hier die Plautus-Festspiele veranstaltet, um die alte und edle Kunst des Theaters auch mit neuzeitlichen Stücken zu feiern. Ein Höhepunkt der nationalen Theaterszene Italiens mit viel Prominenz aus Rom und Mailand im Juli und August.
Das Nationale Archäologische Museum der Stadt, eines der wichtigsten Museen dieser Art in Norditalien, empfängt seine Besucher das ganze Jahr über.
Faszinierend sind der Reichtum und die Verschiedenheit der Fundstücke.
Zu den Glanzlichtern zählt die Fachwelt das Mosaik „Der Triumph des Dionysos“ und das imposante 13 Meter hohe Grabdenkmal „Mausoleum von Rufus“.
Von der Bewahrung von Kultur und Historie Umbriens und des alten Roms bis hin zur Bewahrung der italienischen Tradition des Musikinstrumenten-Baus: Ganz in der Nähe von Sarsina liegt die auf einem Hügel angelegte und im Mittelalter befestigte kleine Ortschaft Calbano. Hier befindet sich das Domizil von Elvis Moro und seiner Familie. Der Musiker Moro hat sich darauf spezialisiert, nicht nur Gitarre zu spielen, sondern auch die Instrumente zu bauen. Aber nicht schlechthin Gitarren, sondern italienische Gitarren wie sie vor Jahrhunderten hergestellt wurden. Dazu gehört es beispielsweise, Klebstoffe von tierischem Ursprung, besondere Harze für Farben und einen speziellen Lack zu verwenden sowie lange Trocknungszeiten einzuhalten.
Die Quelle des Autodidakten sind antike Bücher. Etwa 400 Arbeitsstunden veranschlagt er für die Herstellung eines Instruments. Und er meint, dass er der einzige im Land für solche Gitarren sei. Recht standesgemäß ist der Ort seiner Werkstatt. Die Sandsteinblöcke und rötlichen Ziegelsteine aus römischer Zeit sind unter den grauen Steinen des Mittelalters noch an einigen Stellen erkennbar. Das hat schon etwas von historischem Atem.
Weinprobe bei Winzerin Elisa
Weiter führt die Tour in die kleine Gemeinde Mercato Saraceno, den jüngsten Ort im Tal, entstanden aus einem kleinen Markt- und Handelsplatz. Die Bürgermeisterin Monica Rossi ist sehr stolz, dass es ihre Gemeinde geschafft hat, in diesem Jahr als „Stadt des Weines“ ausgezeichnet zu werden. Eine berühmte Sorte der Region ist der Vino Famoso, eine Weißwein-Rebsorte mit dezentem Muskatton. Auf den Hügeln der Stadt liegen die Weinberge. Im Nordwesten befindet sich das Castello und Weingut Montesasso von der Besitzerin Elisa Baraghini. Die junge Winzerin ist sehr stolz, dass sie einen florierenden ökologischen Weinanbau betreibt, ohne Einsatz von Chemie und Maschinen.
Das Finale der Perlenkette durch das Savio-Tal ist die Stadt Cesena mit knapp 100.000 Einwohnern am Fuß des Gebirgszugs der Apenninen. Auch hier müssen die Gäste selbst in der Hochsaison kaum befürchten, dass sich in der mittelalterlichen Stadt die Touristen drängen. Der Besucher hat ausreichend Platz und Muße, ausgiebig die wunderbaren Sehenswürdigkeiten in Augenschein zu nehmen.
Da ist zuallererst die Biblioteca Malatestiana, der ein großer internationaler Ruf vorauseilt. Manche Experten zählen sie zu den berühmtesten Bibliotheken Italiens, ja ganz Europas. Und das völlig zu Recht. Sie ist die älteste bürgerlich-städtische Bibliothek in Europa. Insgesamt hat die Bibliothek einen Buchbestand von 400.000 Exemplaren, darunter auch hunderte wertvolle Manuskripte und Bücher griechischer und römischer Herkunft, die an 58 Lesetischen studiert werden können.
Bekannt ist auch das Eingangsportal mit der Abbildung eines Elefanten, des Symbols der Bibliothek, wo der Spruch verewigt, ist: „Der indische Elefant fürchtet keine Mücke.“
Bronze-Skulpturen des Künstlers Leonardo Lucchi
Einen eleganten Kontrast zur Renaissance Bibliothek liefert Kunst aus der Gegenwart an der Rückseite der Piazza del Popolo. Es sind die „Equilibristi“, Kunstwerke aus Bronze von dem Künstler Leonardo Lucchi. Sie zeigen die Schönheit und Magie des Zirkus. Aber mancher Besucher sieht darin auch ein Stück Lebensgefühl der Italiener.
Ritterspiele am Masini-Brunnen
Die Piazza del Popolo ist zweifellos der bedeutendste pittoreske Platz der Stadt. Hier steht ein architektonisches Juwel, der Masini-Brunnen aus istrischem Stein geschlagen. Er wurde im 16. Jahrhundert errichtet und ist zu Füßen der Festungsmauern angelegt.
Der Brunnen wie die Festung Rocca Malatestiana bilden das Zentrum der Stadt. Burg, Bibliothek und Kathedrale verdanken ihre Existenz der italienischen Adelsfamilie Malatesta, die im 14. und 15. Jahrhundert die Stadt beherrschte. Die Festung mit ihren Wehrtürmen und Mauern liegt auf dem Gipfel des Hügels Garampo. Nicht allein die Festungsmauern sind sehenswert, sondern auch die Aussichten. Zumindest die Küste der Adria ist zu sehen und bei Fernsicht-Wetter sogar Kroatien.
Festung von Cesena
Der wohl berühmteste Besucher war Leonardo da Vinci. Er hatte von der damals herrschenden Adelsfamilie Borgia den Auftrag, die Festungsanlagen der eroberten Städte in der Romagna zu inspizieren. Dazu fertigte er einige Handzeichnungen an, die heute in Museen in Paris aufbewahrt werden. Wie allen Bauwerken mit hohen Mauern blieb auch der Festung Cesena später die Kariere eines Gefängnisses nicht erspart, während sie nun in der Gegenwart ein Hotspot für Veranstalter von Jazzkonzerten ist.
Abtei Santa Maria del Monte
Der Weg von der Festung führt in den Abendstunden wieder über eine lange Treppe zurück auf die Piazza del Popolo und den hell angestrahlten Masini-Brunnen. Tagsüber bietet das Zentrum mit der gotischen Kathedrale Giovanni Battista und den vielen kleinen Verkaufsläden in der Altstadt das Vergnügen des Bummelns.
Wie auch in anderen europäischen Städten muss der Besucher auch in Cesena eine nicht geringe Zahl von geschlossenen Läden registrieren. Die Krise macht auch um die Region Emilia Romagna keinen Bogen.
Auf den Hügeln der Stadt unter dem Pass Speziano liegt auf 135 Metern Höhe die Abtei Santa Maria del Monte, eine weitere historische Sehenswürdigkeit der Stadt, deren Anfänge auf das 11. Jahrhundert zurückgehen.
Fotos: Ronald Keusch