Ungemischte Farben, ungestümer Pinselstrich, abstrahierte Formensprache: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schockierte eine Künstlergruppe das Publikum mit einer Malerei, die sich auf radikale Weise von bisherigen künstlerischen Konventionen abwandte. Als „fauves“, als „Wilde“ bezeichnet, traten die Künstler den Weg in die Moderne an – allen voran Maurice de Vlaminck (1876–1958). Beeinflusst durch van Gogh sowie später Cézanne, legte er den Fokus auf die Ausdruckskraft der Farbe und hielt die Landschaften entlang der Seine in stark expressivem Stil mit pastosem Farbauftrag fest.
Beeindruckende Werke, die das Potsdamer Museum Barberini noch bis zum 12. Januar 2025 präsentiert. Die Ausstellung „Maurice de Vlaminck – Rebell der Moderne“ ist die erste Retrospektive des Künstlers in Deutschland seit fast 100 Jahren. Neben einem Fokus auf dem fauvistischen Frühwerk, ist auch das kaum erforschte Spätwerk Vlamincks Bestandteil der Schau, die erstmals seit 1929 einen Überblick über Maurice Vlamincks (1876 – 1958) gesamtes Werk gibt, wobei der Akzent auf der produktiven Schaffenszeit vor dem Ersten Weltkrieg liegt.
Ausgangspunkt der Ausstellung, die in Kooperation mit dem Von der Heydt-Museum in Wuppertal entstand und 76 Werke versammelt, sind die neun Gemälde Vlamincks in der Sammlung Hasso Plattner. Ergänzt werden sie durch Leihgaben aus unter anderem der Tate Modern in London, dem Museo nacional Thyssen-Bornemisza in Madrid, dem Centre Pompidou und dem Musée d’Orsay in Paris, dem Museum Folkwang in Essen, dem Van Gogh Museum in Amsterdam sowie dem Brooklyn Museum und dem Metropolitan Museum of Art in New York, dem Dallas Museum of Art und der National Gallery of Art in Washington.
Für den Kurator der faszinierenden Ausstellung, Daniel Zamani, markiert Maurice de Vlamincks Werk „ein bedeutendes Scharnier zwischen Im- und Expressionismus. Wir sind froh, seinem künstlerischen Werdegang mit einer so opulent bestückten Retrospektive nachspüren zu können. Besonders freuen wir uns über die zahlreichen farbstarken Arbeiten, die aus US-amerikanischen Sammlungen angereist sind, darunter Inkunabeln der fauvistischen Malerei aus dem Art Institute of Chicago und der National Gallery of Art in Washington. Ein weiteres Highlight sind die zahlreichen Schlüsselwerke aus internationalen Privatsammlungen, die sonst nicht öffentlich zugänglich sind.“
Vlaminck, der Autodidakt ohne akademische künstlerische Ausbildung, pflegte das Selbstbild als „Wilder“, dessen Werk von Expressivität geprägt war. Ihm ging es immer „um das Objekt in seiner ganzen Dichte und Wahrhaftigkeit“. Bereits 1905 erwarb der Kunsthändler Ambroise Vollard den Großteil von Vlamincks Atelier-Bestand und ermöglichte ihm somit die professionelle Künstler-Laufbahn.
Im Zuge nationalsozialistischer Kulturpolitik nach 1933 wurde auch das Werk Maurice de Vlamincks als „entartet“ verfemt und aus dem Bestand deutscher Museen entfernt. Dennoch, und trotz deutlicher Distanzierung in jüngeren Jahren von Militarismus und Nationalismus, trat er im November 1941 auf Einladung der deutschen Propagandastaffel eine Reise nach Deutschland an. Im Anschluss, äußerte er sich positiv über die nationalsozialistische Kunst- und Kulturpolitik und polemisierte auch gegen die Avantgarde in Frankreich. Dass Documenta-Gründer Arnold Bode ihn 1955 dennoch auf die erste Weltschau der (NS-verfemten) Moderne einlud, war gewiss der kühnen Wucht des progressiven Frühwerks zu verdanken.
Wohl auch bedingt durch seine politischen Verlautbarungen ist das Spätwerk Vlamincks kaum erforscht, in dem düstere, bedrohliche Landschaften jenseits aller avantgardistischen Strömungen dominieren,
An der späteren monumentalen Schwere und Dunkelheit der Motive war wohl auch die bedrückende Kriegszeit schuld. Er wurde 1914 eingezogen und musste als Granatendreher in einer Munitionsfabrik arbeiten. Nach 1918 zog er aufs Land und widmete sich fortan ganz der Landschaftsmalerei, den Getreideschlägen und Heuschobern , den Kleefeldern und Kühen.
Ortrud Westheider, die Direktorin des Museums sagt dazu: „Unsere Ausstellung präsentiert das Werk Vlamincks von den Anfängen bis zu seinen späten Landschaften, in denen er Monets Getreideschober und Van Goghs Weizenfelder neu interpretierte. Diese Bilder zeigen den Rückzug des früheren Rebellen aus der Avantgarde, seine Kritik an der Moderne und seine pessimistische Weltsicht. 1942, nach einer Reise nach Deutschland, hat er die nationalsozialistische Kulturpolitik in Zeitungsartikeln gelobt. Wir finden es wichtig, diese Kollaboration zu benennen. In seiner Kunst gibt es aber keine Nähe zur NS-Ästhetik. Während dort die Bauern als Helden dargestellt werden, ist der Mensch in Vlamincks späten Landschaftsbildern isoliert und existentiell ausgeliefert.“
Dem Museum Barberini muss man für diese „Auferstehung“ nach 100 Jahren eines zu Unrecht zu lange unbeachteten, ja vielleicht wegen seiner Berührung mit dem Nationalsozialismus auch etwas missachteten Künstlers, dankbar sein. Vor allem überwältigt die emotionale Intensität und geballte Farbgewalt seiner Werke, deren suggestiver Wirkung man sich nicht entziehen kann und die noch lange nachwirkt.
Ansichten aus der Ausstellung im Museum Barberini. Fotos Ingrid Müller-Mertens