Ruth Brauer-Kvam als Velma Kelly im Musical „Chicago“ in der Komischen Oper Berlin
Von Klara Berger
Gleich die erste Premiere der Komischen Oper im Schillertheater, der Interimsspielstätte während der notwendigen Sanierungsarbeiten des Stammhauses, ist sozusagen ein Paukenschlag. Vermisst man vielleicht zunächst die vertraute neobarocke Gemütlichkeit des Zuschauerraums in der Behrenstraße vermag Barrie Kosky mit seiner rasanten, opulenten und witzigen Inszenierung augenblicklich das eher sachliche Ambiente des Theaterbaus der 50er Jahre am Ernst-Reuter-Platz komplett auszufüllen.
Nach seinen umjubelten Inszenierungen West Side Story, Anatevka und La Cage aux Folles präsentiert er nun mit Chicago ein weiteres großes amerikanisches Musical und stellt einmal mehr die künstlerischen Qualitäten des Genres in der originalen, orchestral großformatigen Fassung unter Beweis. Kosky, einer der inzwischen international gefragtesten Regisseure, knüpft mit seiner Neuinszenierung in deutscher Sprache an die opulente Ur-Inszenierung von 1975 an und schafft so ein Broadway-Musical „Made in Berlin“.
6.500 strahlende Glühbirnen, Glamour, Glitzer, Federboas und hinreißende Darsteller, dazu tiefschwarzer Humor und mitreißender Orchestersound faszinieren von der ersten bis zur letzten Minute.
Die Musicalstars Katharine Mehrling und Ruth Brauer-Kvam als unschlagbares Showgirl-Duo Roxie Hart und Velma Kelly reißen das Publikum förmlich aus den Sitzen.
Die Geschichte der beiden Killer-Ladies Roxie und Velma basiert auf wahren Begebenheiten. Die Gerichtsreporterin Maurine Dallas Watkins berichtete Anfang der 1920er Jahre für die Chicago Tribune über die Fälle von Belva Gaertner und Beulah Annan. Beide Cabaret-Sängerinnen waren des Mordes an ihren Ehegatten angeklagt und freigesprochen worden. Watkins aber bezweifelte deren Unschuld und verfasste ein Theaterstück, das 1926 am Broadway aufgeführt wurde und im darauffolgenden Jahr als Stummfilm in die Kinos kam. Erst 50 Jahre später entstand das auf dem Stück basierende Musical Chicago, das 1975 seine Uraufführung feierte und zu den erfolgreichsten Broadway-Produktionen aller Zeiten gehört. Vor allem sicher auch, weil es schlaue, attraktive, starke Frauen zeigt. die alle keine harmlosen Mäuschen oder hilflose Opfer sind, auch wenn sie sich so präsentieren. Sie wissen erfolgreich mit stereotypen Frauenbildern zu spielen und sie für ihre eigenen Interessen zu nutzen.
Einfach hinreißend Katharine Mehrling als betont naiv-süße berlinernde Roxy, Ruth Brauer-Kvam als ihre neidische, bösartige Schicksalsschwester Velma,
Dazu ein überaus amüsanter Jörn Felix Alt als skrupelloser, geldgieriger Anwalt Billy Flynn der alle zynischen Tricks perfekt beherrscht. Andreja Schneider als ebenso geldgierige, korrupte Gefängniswärterin, Ivan Tursič als ausgenutzter, trotteliger Ehemann und Countertenor Hagen Matzeit als einfältige Reporterin Mary Sunshine. Das inzwischen Musical-erprobte Orchester der Komischen Oper unter Adam Benzwi rockt, jazzt und groovt, dass es eine Freude ist und das überaus spielfreudige Tanzensemble des Hauses übetrifft sich wiedereinmal selbst (Choreograph und Co-Regisseur Otto Pichler).
Ganz große Show! Die Komische Oper ist im Schillertheater angekommen. Das Publikum auch.
Übrigens auch Walter Felsenstein (1901-1875), der Gründer der Komischen Oper und Initiator des realistischen Musiktheaters ist mit umgezogen. Seine Büste sorgt nun im oberen Foyer des Schillertheaters für Tradition, Kontinuität aber vor allem ein bisschen „heimisches“ Gefühl, für die nächsten ? ? ? Jahre im Exil.
Fotos: Ingrid Müller-Mertens
Weitere Vorstellungen am 11.,17.,19., 22. und 26. November sowie im Dezember und Januar 2024.