Von Ingrid Müller-Mertens
Wer hätte das gedacht: Die Kritik überschlägt sich vor Begeisterung, das Publikum strömt in Scharen, sogar eine Zusatzvorstellung musste organisiert werden und das alles für eine musikalische Komödie aus einer Zeit, die nicht nur untergegangen sondern in vielen, vor allem auch kulturellen Facetten gern totgeschwiegen wird. „Messeschlager Gisela“ wurde zum Kassenschlager im Spiegelzelt am Berliner Roten Rathaus. Ein Sommermärchen in einem der Ausweichquartiere der Komischen Oper während der mehrjährigen Sanierung des Stammhauses in der Behrenstraße.
Nein, es geht nicht um die swingenden Berliner Operetten der Weimarer Zeit, die Barry Kosky während seiner Intendanz ausgegraben und mit großem Erfolg in der Komischen Oper abgearbeitet hat. Es geht sozusagen nahtlos weiter in die Nachkriegsjahre, die Epoche des Kalten Krieges und des Ost/West-Konflikts. Denn – man höre und staune – , auch im Osten gab es zur Erbauung der Werktätigen die sogenannte heitere Muse. Da man mangels knapper Devisen die auch im Osten dank Westfernsehen populären Brodwaymusicals kaum übernehmen konnte, wurden weder Kosten noch Mühe gescheut, um mit eigenen Produktionen etwas Glanz, Farbe und Spaß in den oft grauen sozialistischen Alltag zu bringen. Nicht ganz ideologiefrei aber doch unterhaltsam und auch ein bisschen kritisch.
Dafür gab es ein breites Spektrum vom satirischen Kabarett bis zur großen Fernsehshow. Und auch mehr oder weniger populäre Stücke für die vielen Sprech- und Musiktheater, die man sich in der DDR bis in die entlegendste Kreisstadt leistete.
Gisa Flake als Gisela (li und re), Maria-Danaé Bansen als Marghuerita (Mitte)
Erfolgsgarant und prädestiniert für die leichte Muse war vor allem der Komponist und Dirigent Gerd Natschinski (1928-2015). Er schuf zahlreiche Stücke für Musiktheater, Orchesterwerke, Filmmusiken, Lieder, Schlager und Chansons. 1960 – ein Jahr vor dem Mauerbau – entstand die Operette „Messeschlager Gisela“ für das Berliner Metropol-Theater. Wie so Vieles nach der Wende in der historischen Versenkung verschwunden.
Nun nahm sich der bekennende Ost-Berliner Opern- und Filmregisseur Axel Ranisch der “DDR-Operette“ an und zeigt gemeinsam mit dem Dirigenten Adam Benzwi, was in ihr inhaltlich und musikalisch so alles steckt. Die schmissigen Melodien gehen ins Ohr und mit dem gut aufgelegten Orchester der Komischen Oper direkt in die Beine.
Im Modeatelier VEB Berliner Schick herrscht Betriebsleiter Genosse Kuckuck, ehemaliger Buchhalter, der in seinem Betrieb massenhaft Waren produzieren lässt, die kein Mensch tragen kann. Wichtigstes Ziel: Erfolg bei der bevorstehenden Modemesse in Leipzig! Neben ihm und seiner patenten Chefsekretärin gibt es da aber auch noch Gisela, Mitarbeiterin mit Bodenhaftung, auf die auch der „Zeitungsfritze“ Fred Funke (Nico Holonics) ein Auge geworfen hat. Zum heißbegehrten Messeschlager in Leipzig wird schließlich nicht der skurrile Entwurf aus der Chefetage, sondern der von Gisela – Motto: Mode für und nicht gegen die Frau! Und so erfährt man am Rande auch, dass die Emanzipierung und Förderung der Frau in der DDR schon Realität war als Ehefrauen in der BRD noch die Erlaubnis ihres Ehemanns brauchten, um berufstätig zu sein.
Ranisch – Jahrgang 1983 – kann man schon seines Alters wegen keine ambitionierte „ Ostalgieveranstaltung“ unterstellen. Aber sein respektvoller, ja liebevoller Umgang mit einer total anderen Lebenswelt, der speziellen DDR-Mentalität und intakten zwischenmenschlichen Beziehungen, macht den Reiz und sicher auch Erfolg dieser ganz besonderen und amüsanten „Geschichtsstunde“ aus. Da kommt bei dem Einen oder Anderen schon etwas Wehmut auf. Und wenn bei Schlüsselwörtern wie „Dederon“, „knitterfreies Präsent 20“ oder „Selbstkritik“ ein Teil des Publikums sich köstlich amüsiert und applaudiert, dann sind das ganz offensichtlich Ostberliner mit Erfahrung im real existierenden Sozialismus. Aus der Sicht des heute real existierenden Kapitalismus durchaus eine interessante Perspektive.
In den begrenzten gestalterischen Möglichkeiten der Spielstätte präsentiert sich optimal ein spielfreudiges Ensemble: Gisa Flake, von der man z.B. in der ZDF-heute show eher etwas derbere Töne gewohnt ist, agiert als Gisela und Frau „mit Format“ überaus sympathisch und gefällt auch stimmlich. Maria-Danaé Bansen berlinert sich mit „Herz und Schnauze“ und viel Sexappeal als Chefsekretärin Marghuerita zum Publikumsliebling, Thorsten Merten liefert als selbstsüchtiger, gestalterisch völlig untalentierter Kuckuck eine vergnügliche Studie sozialistischer Leitungstätigkeit, tenoraler Glanz kommt von Johannes Dunz und Andreja Schneider hat den Überblick und hält das Ganze charmant zusammen.
Leider endet die „Nacht der offenen Tür“ im VEB Berliner Schick definitiv am 7. Juli. Restkarten gibt es noch für den 5.,6. und 7. Juli jeweils 20 Uhr. Zusatzvorstellung am 6.Juli um 15 Uhr.
Das Spiegelzelt mit dem schönen Namen „Queen of Flanders“ wird vorerst abgebaut, im nächsten Sommer aber wieder am Roten Rathaus zu bewundern sein. Denn mit „Messeschlager Gisela“ hat die Komische Oper Berlin eine Reihe von Neuproduktionen profilierter Werke des „Heiteren Musiktheaters“ aus der DDR eingeläutet, die das geneigte Publikum jeweils am Ende der Spielzeit in diesem nostalgischen Art-Déco-Ambiente erleben kann. Als nächstes darf man gespannt sein auf „Mein Freund Bunburry“ in der Regie von Max Hopp – ein weiteres Natschinski-Musical, frei nach Oscar Wilde. Premiere am 14.Juni 2025.
Fotos: © Berliner Umschau/Müller-Mertens