Von Klara Berger
Zur Saisoneröffnung in der Berliner Staatsoper Unter den Linden hob sich Anfang Oktober der Vorhang für einen Klassiker des romantischen Repertoires: Guiseppe Verdis (1813-1901) Oper „Aida“. Inszeniert von dem nicht unumstrittenen spanischen Regisseur Calixto Bieito. Der auf europäischen Bühnen gefragte 59-Jährige, auch gern mal als „Skandalregisseur“ bezeichnet, weil es mitunter in seinen Inszenierungen sehr gewalttätig und exzessiv zugeht, provozierte auch diesmal das doch eher konservative Opernpublikum.
Der bekannten historisierten Folklore-Story von Liebe, Eifersucht und Verrat setzt er mit starken Bildern und authentischen Filmszenen die grausame Realität der kolonialen Ausbeutung insbesondere in Afrika zur Entstehungszeit der Oper entgegen. Szenen, die aufrütteln und erschrecken und vor allem auch Parallelen aufzeigen, zu den aktuellen Missständen und Problemen des modernen Kapitalismus und der zerstörerischen Kraft dumpfen Nationalstolzes. In erster Linie eine hochpolitische Inszenierung. Und so gab es vom Premierenpublikum für die Regie auch lautstarke Buh-Rufe.
Von links: Yusif Eyvazov, Elina Granca, Marina Rebeka.
Gefeiert wurden dagegen Chor und Staatskapelle unter der Leitung des italienischen Dirigenten Nicola Luisotti. Ovationen für Marina Rebeka in der Titelrolle, regelmäßig zu Gast in der Metropolitan Opera New York, dem Teatro alla Scala di Milano oder dem Concertgebouw Amsterdam und die wunderbare Elina Garanca als deren Gegenspielerin.
Nicht ganz nachvollziebar und unfair dagegen die Buh-Rufe für den Radamès von Yusif Eyvazov . Offensichtlich politisch motiviert, denn Eyvazov ist der Ehemann der seit dem Ukraine-Krieg umstrittenen russisch-österreichischen Starsopranistin Anna Netrebko. Dass „Sippenhaft“ nun auch in den Kunstbetrieb einzieht ist mehr als bedenklich.
„Aida“ – wurde auf dem Höhepunkt des europäischen Imperialismus und zu Beginn der Kolonialisierung Afrikas im Dezember 1871 in Kairo uraufgeführt. Verdis Musik ist anzumerken, dass es ihm nicht um musikalisierte Historie ging sondern vor allem um Kritik an einer menschenverachtenden Gesellschaft. Auch wenn bekannt ist, dass der Komponist wenig Neigung zu diesem Stoff hatte, dann aber wohl aus finanziellen Gründen doch zusagte, wohl auch, weil er befürchtete, sein musikalischer Erzfeind Richard Wagner würde sonst den Auftrag bekommen.
Aida lebt als Sklavin am ägyptischen Hof. Sie ist die Königstochter aus dem feindlichen Äthiopien, hat sich aber in den ägyptischen Heerführer Radamès verliebt. Von ihrem Vater Amonasro wird sie instrumentalisiert, um die militärische Strategie des feindlichen Heeres in Erfahrung zu bringen. Unterdessen kämpft Amneris, die ägyptische Königstochter, mit allen Mitteln um ihre Liebe zu Radamès und versucht, ihre Rivalin kaltzustellen. Sie alle sind einem gnadenlosen Machtkartell von Priestern und Kriegern ausgeliefert.
Calixto Bieito schlägt in seiner Inszenierung einen Bogen von der Entstehungszeit der Oper auf dem Höhepunkt des europäischen Imperialismus bis hin zu unserer Gegenwart. Immer wieder gibt es Gänsehautmomente sowohl bei den stimmgewaltigen Chorbildern als auch den diffizielen kammerspielhaften Momente. Eine „Aida“ – Interpretation, bei der neben der überwältigenden musikalischen Intensität auch und vielleicht vor allem die eindringlichen, plakativen Handlungsstränge und Bilder im Gedächtnis bleiben. Nicht jedem Opernliebhaber des klassischen Repertoires mag das gefallen.
Weitere Vorstellungen: 12., 15., 19., 22., 25., 29. Oktober 2023
Fotos: Ingrid Müller-Mertens