Die Kunstfabrik Schlot in den Edison-Höfen
Von Ronald Keusch
Für einen Musiker aus der ersten Riege des deutschen Jazz mit herausragendem internationalem Format wurde am 7. August dieses Jahres ein Gedenkkonzert veranstaltet. Für den im Februar verstorbenen Tenorsaxophonisten Helmut Forsthoff trafen sich Wegbegleiter und Freunde, die mit ihm in Trio- und Quartett-Formation unzählige Auftritte hatten. Als Ort dieses Konzertes wählten sie die Bühne einer Jazz-Institution in Berlin und eine Jazz-Heimat für ganz Deutschland – die Kunstfabrik Schlot in der Invalidenstraße in Berlin Mitte.
Wie bei jeder Veranstaltung in den stilvoll ausgebauten Kellerräumen der Edison-Höfe – einer ehemaligen Fabrik für Glühlampen – begrüßte John Kunkeler, Chef und zugleich Seele des Jazzclubs Schlot, die zahlreich erschienenen Gäste. Gemeinsam mit seinem Companion und Jazz-Pianisten Stefan Berker betreibt er als verantwortlicher Programm-Manager seit 1996 den Jazzclub, der mit den Jahren zu einer Hochburg des Jazz aufgestiegen ist.
Zwei Marathonläufer leiten den Jazz-Club Schlot
Die Geschichte des Schlots ist nicht ohne die Geschichte des gebürtigen Holländers John Kunkeler zu erzählen. Seit dem Beginn seines Studiums der Romanistik und Politologie Anfang der 70er Jahre lebt er seit nunmehr 53 Jahren in Berlin, die Stadt ist seitdem sein zu Hause. Und wenn er in Holland unterwegs ist, staunt man über den Deutschen, der so gut holländisch spricht. Aber er beherrscht auch perfekt die französische und die englische Sprache. Das brachte ihm die erste intensive Begegnung mit dem Jazz ein. Die Berliner Jazztage suchten dringend mehrsprachige Studenten, die die internationalen Jazz-Stars vom Flughafen Tegel abholten und zu den Terminen in der Stadt begleiteten. Aus dieser spannenden Zeit der 70er Jahre stammen zwei große imposante Jazz-Poster, die heute im Jazzkeller vom Schlot hängen.
Das Schicksal führte auch in den nächsten Jahren Regie in seinem Leben. Während eines Familienurlaubs erleidet er einen Lungenfellriss und er folgt dem Rat der Ärzte, sich nach erster Verheilung einer Laufbewegung anzuschließen. Das machte in der Konsequenz aus John Kunkeler einen Marathonläufer. Er hat insgesamt 107 (!) Läufe auf dem Konto und lernte den Marathonläufer Stefan Berker kennen. Nach 20 Jahren Lehrer-Dasein, besonders als Französisch-Lehrer war er gefragt, führte das Scheitern seiner Ehe John Kunkeler zu einem Neustart im Leben und zum Schlot. Ohne die Scheidung würde es das Schlot in der Form nicht geben. So hat jetzt eine Jazz-Location wohl einmalig in der Welt zwei Marathonläufer an der Spitze.
Jazz ist nicht was, sondern wie man spielt
Der Schlot profitierte von der sich nach der Wende hier in Berlin rasant entwickelnden mittlerweile größten Live-Jazz-Szene in Deutschland und prägte zugleich diese einmalige Musik-Landschaft mit. Auf die Frage, was den Besucher im Schlot erwartet, lautet die lakonische Antwort vom Schlot-Chef: „Schaut einfach in unser Programm auf der Website. Da steht dann, welche Bands spielen und auch, welchen Jazz-Stil sie bevorzugen. Das Schöne beim Jazz ist die Umsetzung von Melodien und eigenen Kompositionen.“ Und ganz klar und unmissverständlich kommt die Ansage: „Bei uns im Schlot hat die ganze riesengroße Palette des Jazz seinen Platz. Das beginnt mit Avantgarde und Free Jazz bis zum traditionellen Open Classic New Orleans Stil. Und dazwischen gibt es noch eine ganze Menge von Richtungen“, so Kunkeler. Das Schlot ist offen für die ganze Vielfalt an Bands mit unterschiedlicher Qualität und Erfahrung, von Elite-Jazzern bis hin zu Neulingen und Studenten aus Musikhochschulen. Hier spielt auch schon einmal eine Schulband eines Gymnasiums, die sich ein Jahr lang auf diesen Auftritt im Schlot vorbereitet hat. Wenn dann die Newcomer ihren Jazz vorstellen, ist der Jazz-Club mit Freunden und Verwandtschaft gerappelt voll. Da zeigt es sich dann: Jazz ist nicht was, sondern wie man spielt. Und die Jazz-Bands aus Italien, die der Schlot-Chef besonders mag, klingen anders als eine Band, die beispielsweise aus Polen oder Tschechien kommt. Die Philosophie des Schlot lautet dabei: Kultur kommt vor Kommerz !
Jazz in der kosmopolitischen Stadt Berlin
Gerade beim Jazz zeigt sich Berlin als kosmopolitische Stadt. Im Schlot steht nur selten eine Band mit ausschließlich deutschen Musikern auf der Bühne. Und da erlebt der Besucher jedes Mal ein Jazz-Festival unterschiedlichster musikalischer Stilrichtungen und Einflüsse. In gewisser Weise spiegelt sich das auch insgesamt in der Jazz-Szene Berlin wider, so beispielsweise wurde das Quasimodo von einem Italiener gegründet, die Jazzclubs „b-flat“ und „Zig Zag“ werden von Griechen und das A-Trane von einem Türken geleitet, – und das Schlot von einem Holländer. „Klar hat jeder Jazz-Club seine eigene Handschrift“, erklärt Kunkeler, „doch allen gemeinsam ist die Liebe zur Musik.“ Natürlich bleibe der Jazz eine Außenseiter-Musik, weil er an die Hörgewohnheiten größere Anforderungen stellt. Kunkelers Favoriten sind die komponierten Jazz-Stile, während der komplette Free Jazz für ihn mitunter nur unpräzise und schwammig, eben „Wischiwaschi“ sei. Das ist bei weitem keine Einzelmeinung, aber der gestandene Free Jazz hat auch seine feste Anhängerschaft.
Jazz braucht intensive Zuhörer
Für Berlin unter dem Banner „Stadt des Jazz“ Werbung für den Tourismus zu machen, sieht John Kunkeler eher skeptisch. „Die Jazz-Fans und alle Besucher von Jazz Clubs benötigen keine Werbung, die kennen sich in der Jazz-Szene aus. Und Besucher, die Musik nur als Untermalung suchen, um ihr Bier zu trinken und zu klönen, sind weder bei den Musikern noch den Gästen gern gesehen. Jazzmusik braucht interessierte und intensive Zuhörer“, so lautet das Resümee.
Ein weiteres typisches Markenzeichen für die Kunstfabrik Schlot besteht darin, dass hier von acht bis achtzig Jahren jedes Alter angesprochen wird. Der Sohn von John Kunkeler arbeitet hier und sein Enkel war hier auch schon Gast. Der Jazzklub Schlot profiliert sich als ein Treffpunkt der Generationen und so will auch das Programm sein. Die Liebe zur Musik sollte mit dem Alter nichts zu tun haben. Insgesamt wurde die Kunstfabrik Schlot in den letzten zehn Jahren vier Mal mit dem „Applaus-Preis“ verbunden mit Geldprämien ausgezeichnet. Damit werden vom Staatsministerium für Kultur und Medien die Arbeiten und das Engagement von Liveclubs und Veranstalterteams gewürdigt. „Das Geld haben wir vor allem in immer bessere Tontechnik investiert.“ Und so ist es nicht so selten, dass Rundfunkstationen Mitschnitte in den Kellerräumen vom Schlot machen, weil die Aufnahme-Technik und die Logistik in den Edison-Höfen sowie die interessanten Programme dazu einladen.
„Berlin Jatzzt“ erinnert an die frühe Berliner Jazz-Szene
Seit längerer Zeit schmückt eine sehenswerte ständige Ausstellung von alten Flyern und Fotos den Flur und den Besucherraum vom Schlot. Der Jazz-Musiker Jörg Miegel präsentiert hier unter der Überschrift: „Berlin Jatzzt“ eine Hommage an die Jazz-Szene in den Jahren von 1945 bis 1970. Sie war anfangs dominiert von US-Soldaten, die nach Kriegsende in Berlin blieben, und von dem legendären RIAS-Orchester unter Leitung von Helmut Zacharias. Zur spannenden Jazz-Historie in der Stadt werden im Schlot extra Veranstaltungen organisiert, mit Interviews und natürlich Jazz-Musik aus dieser Zeit. Der nächste Termin für „Berlin Jatzzt“ ist der 24 September. Ebenso einmalig für einen Jazz-Club ist eine Reihe unter dem Motto: Jazz für Kinder. Da werden die ersten Tische und Stuhlreihen im Zuschauerraum abgeräumt und das junge Publikum auf Sitzkissen vor der Bühne platziert. Ziel der Programme ist es, den Kindern und ihren Eltern die Scheu vor einer vermeintlich komplizierten Musik zu nehmen. (https://www.jazz4kidz.com/about-1/)
Lesebühnen in der Kunstfabrik Schlot
Zur Programm-Vielfalt der Kunstfabrik Schlot gehört seit vielen Jahren traditionell die Lesebühne im Jazzclub Schlot, immer sonntags um 13 Uhr. Unter der Obhut und Führung des bekannten Kabarettisten Horst Evers präsentieren sich weitere vier Autoren mit ihren Texten, die Nachdenkliches und Satirisches zum politischen Geschehen und dem Berliner Alltag zum Thema haben. Bei freiem Eintritt, Spenden erwünscht, haben sich diese Lese-Nachmittage bei Kaffee, Bier, Brause und belegten Schrippen einen festen Platz erobert.
Für den Betreiber eines Jazzklubs stellt sich in heutigen und kommenden schwierigen Zeiten wie von selbst die Frage an John Kunkeler: Wird die Kunstfabrik Schlot auch künftig immer unter Feuer bleiben und kräftig rauchen? Die Antwort ist knapp und klar. „Unser Motto lautet wohl eher: Der Jazz darf nicht sterben. Dafür wollen wir sorgen. Das ist unser Antrieb, weiterzumachen.“
Fotos: Ronald Keusch
Kunstfabrik Schlot, in den Edison-Höfen
Invalidenstraße 117 (Zugang auch über Schlegelstraße 26)
10115 Berlin
Quelle: www.keusch-reisezeiten.de