Im Tierpark Berlin geschlüpfter Bartgeier wurde in Andalusien ausgewildert
Der Bartgeier, einst ein majestätischer Bewohner der europäischen Gebirge, galt in vielen Regionen als ausgestorben. Vor Kurzem hat Bartgeier-Jungvogel „Sulayr“ aus dem Tierpark Berlin im Rahmen eines Wiederansiedlungsprojekts im Nationalpark Sierra Nevada in Spanien seine Reise in die Wildnis angetreten. Vor wenigen Tagen hat der junge Geier zum ersten Mal seine beeindruckenden Flügel ausgebreitet und seinen ersten Ausflug erfolgreich absolviert.
Da das Gelände im Nationalpark äußerst unwegsam ist, wurde der Geier die letzten abenteuerlichen Meter vom Auswilderungsteam in einer Transportkiste auf dem Rücken getragen. Dann wurde der junge Geier in ein vorbereitetes Nest in einer abgelegenen Felsspalte gesetzt. Dort verweilte er in 2.000 Metern Höhe zusammen mit einem weiteren Jungvogel einige Wochen lang und wurde zunächst von Forschenden versorgt. Der Berliner Nachwuchs soll nicht nur zur Stabilisierung der Population beitragen, sondern auch die genetische Vielfalt in der Region erhöhen. Die Lebensbedingungen des Nationalparks bieten den ausgewilderten Geiern optimale Voraussetzung, um sich an ihre neue Umgebung zu gewöhnen. „Wir sind stolz darauf, dass der in Berlin geschlüpfter Bartgeier nun in den spanischen Bergen seine Kreise zieht. Dies ist ein bedeutender Schritt für die Erhaltung dieser beeindruckenden Art und zeigt, wie erfolgreich internationale Zusammenarbeit sein kann,“ erklärt Dr. Andreas Knieriem, Direktor von Zoo und Tierpark Berlin. „Als wissenschaftlich geführte Einrichtung verstehen wir es als unsere Verantwortung, bedrohte Arten wie den Bartgeier zu schützen. Ich bedanke mich bei allen Beteiligten, die dieses Projekt ermöglicht haben.“
Bevor die Vögel ausgewildert wurden, erhielten sie GPS-Sender und Identifikationsringe, um ihre Fortschritte in der Wildnis genau zu überwachen. Darüber hinaus ist das Gebiet um das künstliche Nest mit Kamerafallen ausgestattet, die die Eingewöhnung der Vögel in die neue Umgebung dokumentieren. Der richtige Zeitpunkt ist bei einer Auswilderung sehr wichtig. Die Jungvögel müssen jung genug und noch flugunfähig sein, um den neuen Ort als ihr Zuhause anzuerkennen. Jedoch müssen sie alt genug sein, um nicht mehr auf das Füttern durch die Eltern angewiesen zu sein und sich selbst gegen Fressfeinde wie andere Greifvögel oder Krähen verteidigen zu können. Dies ist in der Regel nach etwa 90 Tagen der Fall. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, werden sie im fortpflanzungsfähigen Alter – nach rund acht bis zehn Jahren – in dieses Gebiet zurückkehren. Bartgeier sind die einzigen Vögel, die hauptsächlich Knochen fressen. Sie bevorzugen Teile des Skeletts von großen Säugetieren wie Schafen, Ziegen, Hirschen und anderen Wildtieren. Sie schlucken die Knochen ganz oder zerbrechen sie in kleinere Stücke, indem sie sie aus großer Höhe auf Felsen fallen lassen. Ihre starke Magensäure ermöglicht es ihnen, selbst große Knochen vollständig zu verdauen. Matthias Papies, Kurator im Tierpark Berlin, ergänzt: „Bartgeier spielen eine wichtige Rolle in ihrem Ökosystem. Ihre Rückkehr in die spanischen Berge ist ein Zeichen dafür, dass die Zucht- und Schutzprogramme greifen.“ Geier helfen dabei, Kadaver zu beseitigen und so die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern. Ihr auffälliges Federkleid und ihre markante Erscheinung machen sie zudem zu einem faszinierenden Anblick in den Bergen Europas.
Hintergrund – Bartgeier in Europa
Der Bartgeier zählt mit einer Flügelspannweite von bis zu 3 m zu den größten Greifvogelarten Europas. Die beeindruckenden Tiere leben vorwiegend in Gebirgsregionen oberhalb der Waldgrenze, ihre Horste legen sie in Felsnischen an. Die Bartgeierpopulationen sind weltweit rückläufig, was auf mehrere Faktoren zurückzuführen ist. Jagd, Vergiftungen und Störungen an den Brutplätzen haben erheblich zum Rückgang der Bestände beigetragen. In vielen Regionen wurde der Bartgeier einst systematisch verfolgt, da man fälschlicherweise annahm, er stelle eine Bedrohung für Nutztiere dar. Zudem führen der Einsatz von Giftködern und die illegale Jagd weiterhin zu hohen Todesraten. Auch die Verknappung von Nahrungsquellen, bedingt durch die Abnahme traditioneller Weidewirtschaft und die gesetzliche Entsorgung toter Tiere, erschwert das Überleben der Bartgeier. Bereits seit 1988 engagieren sich Zoo und Tierpark Berlin für den Schutz und die Wiederansiedlung der Bartgeier in Europa. Als fliegende Artenschutz-Helden bereichern Berliner Bartgeier seit drei Jahrzehnten die genetische Vielfalt des internationalen Projekts: Von 1988 bis heute wurden 24 im Zoo und Tierpark Berlin geschlüpfte Bartgeier in den Alpen, Andalusien und den Cevennen erfolgreich ausgewildert. Innerhalb der letzten 30 Jahre haben der VCF und das EEP insgesamt mehr als 300 Bartgeier in Europa ausgewildert. Jeder einzelne Vogel wird in den ersten Wochen und Monaten genauestens beobachtet.
Die Wiederansiedlung des Bartgeiers in Andalusien begann 1996 und ist heute eines der erfolgreichsten Projekte zur Wiederansiedlung von Bartgeiern. Dank der Bemühungen konnten bis heute 90 Bartgeier in Andalusien ausgewildert werden.
Fotos: © 2024 Tierpark Berlin/Vulture Conservation Foundation