Gefeierte Premiere von Molières „Der eingebildet Kranke“ im Schlosspark Theater Berlin. Foto Marcus
Lieberenz | BILDBÜHNE)
Von Ronald Keusch
Das Schlosspark Theater in Berlin Steglitz erlebte am 5. September eine ganz besondere Premiere. Denn es wurde zum Auftakt der Theater-Saison nicht allein die Komödie von Molière „Der eingebildet Kranke“ auf die Bühne gebracht.

Lieberenz | BILDBÜHNE)
Das Publikum feiert auch den 90. Geburtstag des Theaterintendanten Dieter Hallervorden, der in diesem Molière-Klassiker in der Hauptrolle des Argan zu sehen ist. Dazu der Jubilar Hallervorden in seinem bekannten Wortwitz: „Ich beschenke mich selbst – und zwar spielend.“
Das noch zusätzlich außergewöhnliche ist, dass der Intendant und Schauspieler Hallervorden dieses Theaterstück von Molière neu übersetzt und bearbeitet hat.


© Marcus Lieberenz | BILDBÜHNE

Die Gründe dafür erläuterte er auf der Pressekonferenz zur Saisoneröffnung und im Programmheft. Hallervorden liebt seit seiner Jugend die französische Sprache und verehrt den Komödiendichter Molière, gesteht sogar, „ich habe ihn richtig liebgewonnen.“
Als die Wahl auf die Aufführung des wohl berühmtesten Stückes „Der eingebildete Kranke“ fiel, stellte Hallervorden fest, dass viele der Inszenierungen alle sehr gut waren, aber für ihn „so eine Art von Antiquitäten-Ware.
Es gab nichts Neues“. Das Stück aus dem 17. Jahrhundert „hätte man auch so vor 80 Jahren spielen können.“ So ging Hallervorden höchstselbst ans Werk und er betont: „Diese Fassung ist für unsere Zeit geschrieben und es spielt im 21. Jahrhundert.“ Und wichtig noch Hallervordens Ergänzung: „Die heutige Fassung hat so viel mit dem Wesen und Wirken meiner Person zu tun, dass sie eben auch nur von mir gespielt werden kann.“ Damit ist für den Theaterkenner klar, dass eine Zweitbesetzung weder vorgesehen noch mit dieser Fassung realisierbar ist.


In der Erfolgs-Komödie von Molière dreht sich die ganze Handlung um den wohlhabenden Bürger Argan, der unter Krankheitsangst leidet, auch Hypochondrie genannt. Das äußert sich in der maßlos übertriebenen Sorge, krank zu sein oder zu werden, obwohl er körperlich völlig gesund ist.
Im Titel der Komödie hat Hallervorden schon den ersten Strich angesetzt. Sie wurde jahrhundertelang auf den Bühnen als „Der eingebildete Kranke“ gespielt. Aber der „kranke“ Monsieur Argan ist in keiner Weise eingebildet, hochmütig oder überheblich. Er bildete sich das Kranksein nur ein und deshalb heißt das Stück im Schlosspark Theater richtigerweise „Der eingebildet Kranke“. Und in seiner Neufassung des Stücks reflektiert Hallervorden diese Titeländerung dann gleich mit Selbstironie: „Nicht nur, dass er (Hallervorden) diese Möchtegern-Komödie auf die Bühne bringt, er raubt dem Stück-Titel auch noch einen Buchstaben ‚Der eingebildet Kranke‘. Dieser Typ spart doch, wo er kann!“
Im Molière-Stück geht die naive Medizingläubigkeit von Argan einher mit der Unfähigkeit der keine Selbstzweifel kennenden Ärzte, die ihn nach Strich und Faden ausnehmen. Der Wahn, ausschließlich Ärzten zu vertrauen geht so weit, dass Argan seine Tochter Angélique mit einem Mediziner verheiraten will, obwohl sie in einen anderen verliebt ist. Während Argans zweite Ehefrau nach seinem Vermögen trachtet und ihn dazu bringen will, seine Tochter zu enterben, sorgen diverse Doktoren, Apotheker, ein Notar und die Dienstmagd Toinette für burleske Szenen und Situationskomik satt. Schließlich schafft die resolute, mit Mutterwitz ausgestattete Toinette es mit einer List, dass der eingebildet Kranke auf den Weg der Vernunft und des gesunden Menschenverstandes gebracht wird.

Mit der Neufassung der klassischen Molière-Komödie und klug dosierten Begriffen und Pointen des 21. Jahrhunderts gelingt es, das Theaterstück aus dem 17. Jahrhundert in die Gegenwart zu holen. Dazu hat Hallervorden am Schlosspark Theater mit Regisseur Philip Tiedemann einen langjährigen bewährten Partner. „Wie wir dieses häufig aufgeführte Molière-Stück hier machen, so ist es noch nie gemacht werden“, so Tiedemann. Und er ergänzt mit Augenzwinkern: „Die Zuschauer erleben, etwas Einzigartiges: eine Weltpremiere.“ Das Ergebnis ist eine rasante turbulente Parodie auf den blinden Glauben an das Expertentum der Mediziner. Es zeigt, wie leicht Menschen durch sogenannte Autoritäten manipuliert werden können und als solches ist das Thema heute hochaktuell. Dabei gelang es Hallervorden und Tiedemann, die Balance zu halten und Handlung und Struktur des Molière-Stückes nicht mit aktuellen Bezügen zu überfrachten.
Natürlich tauchen da auch im Dialog die Abkürzungen Navi („Ich kann Navi nicht mehr hören“ – „wie … navi?“ – „na die ewige Fragerei Nawie geht es dir denn heute“) und W(eh)LAN mal auf und selbstverständlich auch sein Didi-Sketch-Markenzeichen „Palim, Palim“. Allerdings kann der Zuschauer schon im Programmheft lesen, wer dankenswerterweise, wie es spitzbübisch heißt, Dieter Hallervorden beim Erstellen der Fassung zur Seite stand. Insgesamt werden 13 „Autoren“ benannt, beginnend mit Albert von Chamisso, Heinrich Heine, Ludwig Uhland, Groucho Marx und es geht weiter bis Winston Churchill, Johann-Wolfgang von Goethe sowie dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Gut
möglich und denkbar, dass einige Zuschauer sich noch einmal eine Vorstellung gönnen, um vielleicht noch mehr der prominenten Zuarbeiten zu identifizieren.

Auch zu dieser glanzvollen Premiere zu seinem 90. Geburtstag (hier dazu noch ein Hallervorden-Zitat: „Älter zu werden ist die einzige Möglichkeit, länger zu leben“) hat wieder das ganze Theater-Team beigetragen. Das beginnt mit dem originellen Bühnenbild von Stephan von Wedel, einem automatisch
hochstellbaren riesigen Doppelbett, in dem es sich der angeblich kranke Argan richtig gemütlich eingerichtet hat, geht weiter zu den gut begleitenden Musikkomposition von Henrik Kairis bis zu den der Burleske angepassten opulenten Kostümen von Viola Matthies. Da bleibt besonders die Ausstattung der Ärzteschaft in Erinnerung.

Effenberg als Bruder Béralde (© Marcus Lieberenz | BILDBÜHNE)
Doch letztlich wird der Erfolg des Stückes vom Schauspieler-Ensemble getragen, das mit unbändiger Spielfreude auf der Bühne agiert, singt, klettert, sich im Bett wälzt und sogar sportliche Einlagen bietet. Neben Dieter Hallervorden als eingebildet Kranken brillieren besonders Dagmar Biener in
der Rolle der burschikosen Dienstmagd Toinette und Mario Ramos, der gleich in vier Rollen glänzt. Zu Höchstform kann er auflaufen, als er den unterbelichteten Arzt-Sohn spielt, den Argan als Ehemann für seine Tochter auserkoren hat. Christiane Zander als Argans intrigante Ehefrau, Harald Effenberg in einer Doppelrolle als Arzt Diafoirus und Bruder Béralde, Helen Barke als Tochter Angélique und Peter Lewys Preston als ihr Liebhaber Cléante und gleichzeitig am Spinett mit Musikeinlagen von barocker Musik bis zu Rock und Pop vervollständigen das Ensemble.
Das Premierenpublikum sparte nicht mit langanhaltendem Beifall für das Geburtstagskind und sein Schauspieler-Ensemble. Viel Beifall verdient auch wieder das Programmheft des Molière-Stückes in der Redaktion von Co- Intendantin Nathalie Hallervorden und Kristina Pomplun.
Anschließend erlebte das Publikum noch eine kleine Gratulationsrunde. Einige Gratulanten aus der Politik waren nur mit Videobotschaften aus der Distanz anwesend oder schickten ihre Stellvertreter. Nicht jeder scheint Hallervordens kompromissloses öffentliches Eintreten für den Frieden und gegen Kriegstüchtigkeit aushalten zu können. Um so herzlicher wurde dann der letzte Gratulant begrüßt, der in Deutschland lebende polnische Bildhauer Woytek.



Bildhauer Woytek mit Dieter Hallervorden, einem Geburtstagsgeschenk – einer Bronzebüste von Dieter Hallervorden mit Friedenstaube, (Mitte) und Friedens-Skulptur von Woytek im Garten (© Ronald Keusch)
Dieser überreichte Dieter Hallervorden eine von ihm geschaffene Bronzeskulptur, die den Jubilar mit einer Friedenstaube darstellt. Woytek ist Hallervorden zum ersten Mal in dessen Dessauer Theater bei einer Aufführung von „Biedermann und die Brandstifter“ im Jahr 2024 begegnet, und dieses Treffen hat ihn zu der sehr persönlichen Skulptur motiviert.
Noch eine zweite Skulptur von Woytek wurde an dem Abend im Garten des Theaters enthüllt, der Herbst mit Friedenstaube – eine überlebensgroße abstrakte Figur in menschlicher Gestalt, die wirkt, als würde sie durch einen starken Herbststurm laufen und dabei eine Friedenstaube auf der Hand hält. Der polnische Künstler hat an diesem Abend mit seinen Bronzestatuen den Fokus auf eine ganz wichtige Seite des Künstlers Hallervorden gerichtet – sein Engagement für eine friedliche Welt. Und ein sichtlich bewegter Dieter Hallervorden bedankte sich mit den Worten, dass leider die ARD- Dokumentation zu seinem Jubiläum dieses Thema völlig ausgespart hat – dieses Thema, welches für ihn die Herzensangelegenheit sei und das wichtigste überhaupt – der Frieden.
Auf der Geburtstagstorte, die Hallervorden am Premierenabend überreicht wird, steht der Satz: „Ein Narr gibt nie auf“.
Der „Eingebildet Kranke“ spielt im Schlosspark Theater noch bis zum 19. Oktober 2025, immer Mittwoch bis Sonntag, mit Glück sind noch Restkarten über eine Warteliste erhältlich oder ab 22. Oktober das Stück in Dieter Hallervordens Dessauer Theater anschauen.
www.schlossparktheater.de
Quelle: https://www.keusch-reisezeiten.de/post/2025-09-theater-hallervorden-der-eingebildet-kranke