Theaterplakat „Der Drache“ mit Helen Barke, Dieter Hallervorden und Fabian Stromberger © DERDEHMEL/Urbschat
Von Ronald Keusch
Wieder einmal ist es dem Schlosspark Theater in Berlin-Steglitz gelungen, mit dem Stück „Der Drache“ von Jewgeni Schwarz in der Berliner Theater-Szene in kraftvolles Achtungszeichen zu setzen. Es braucht den Mut der Intendanz dazu, diese legendäre Polit-Parabel in Gestalt eines Märchens heute auf die Bühne zu bringen. Schließlich feierte dieses Stück mit fast 600 Aufführungen jahrzehntelang im Deutschen Theater im damaligen Ostberlin unter Benno Besson wahre Theater-Triumphe. Das hatte damals politische Brisanz und heute wieder. Zur Auswahl des Stückes befragt, bekannte Theater-Intendant Dieter Hallervorden, dass er alle Märchen des Autors Jewgeni Schwarz kenne und vor allem die große Aktualität des Stückes „Der Drache“ schätze.
Das Stück beginnt standesgemäß wie ein Märchen. Eine Stadt wird seit 400 Jahren von einem Drachen brutal beherrscht. Das Ungetüm fordert von den Bewohnern hohe Tribute und alljährlich die Opferung einer jungen Frau. Die Einwohner haben sich mit dieser Herrschaft abgefunden, garantiert das mörderische System der Willkür ihnen ihre Ruhe und Sicherheit.
Eines Tages kommt der „professionelle“ Drachentöter Lanzelot. Er will die Stadt und zugleich die schöne Elsa aus den Klauen des Drachen befreien. Doch das stößt bei den Stadtoberen offenkundig und merkwürdigerweise auf Desinteresse, ja auf Feindschaft. Nur die Tiere helfen ihm, allen voran ein pfiffiger Kater. Ein Teppichknüpfer, ein Hutmacher und ein Waffenmeister rüsten ihn mit dem nötigen Werkzeug aus, um den Drachen zu besiegen. Nach dem Kampf wird er schwer verletzt von den Tieren in Sicherheit gebracht.
Das gibt dem Bürgermeister die Gelegenheit, nicht nur die Geschichte umzudeuten und sich selbst als Drachentöter feiern zu lassen, eilig wird die Diktatur des Drachen in eine neue „präsidiale“ Diktatur umgewandelt und der Bürgermeister schickt sich an, Elsa zu ehelichen, Widerspruch ausgeschlossen. Gerade noch rechtzeitig kehrt Lanzelot zurück, und dem Märchen-Happyend mit Heirat steht nichts mehr im Wege.
Dieter Hallervorden als Bürgermeister und Mario Ramos als sein Sohn(li)/ Fabian Stromberger als Lanzelot und Anatol Käbisch als Drache(Mitte)/ Dieter Hallervorden (re). Fotos © DERDEHMEL/Urbschat
Die Handlung entpuppt sich als komisch wie grellfarbig und auch erschreckend aktuell. Der russische Autor Jewgeni Schwarz vollendete das Stück im Jahr 1943 in Dushanbe, auch unter dem Eindruck der Diktaturen von Hitler und Stalin. Warum lassen sich Menschen manipulieren, so dass sie sich mit Tyrannei und Unterdrückung arrangieren? Wie ist es durch offene und verdeckte Gewalt der Herrschenden möglich, ein Volk in feige und angepasste Untertanen zu verwandeln? Sein Märchen gibt Antworten und enthüllt Wahrheiten über Diktaturen und die Manipulation der darin lebenden Untertanen. Regisseur Philip Tiedemann gelang es, dieses ganz außergewöhnliche Stück behutsam in die „Zeitenwende“ der Gegenwart zu adaptieren. Er fokussiert sich in seiner künstlerischen Arbeit darauf, die Märchen zu erhalten, ihre Welt, ihre Figuren, ihren Aberwitz. Sein Plädoyer: „Opfert sie nicht dem Pseudo-Intellekt, der dummen Korrektheit und der öden Wahrscheinlichkeit – kurz: der trostlosen Erwachsenen-Welt! Dabei bildet Jewgeni Schwarz gerade diese Welt in ihnen so hellsichtig ab…“.
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Tiedemann widersteht dabei der Versuchung, der Märchenkomödie eine vordergründige Aktualität aufzuzwingen, ohne allerdings auf eine ganze Reihe von unterhaltend, komisch originellen Regie-Ideen zu verzichten. Als sich der Bürgermeister in einer Rede an seine Untertanen als der Drachentöter ausgibt, werden die heute gehorsam gezischten Gender-Sternchen der Sprachpolizei „Liebe Bürger…innen…“ verballhornt. Den Demonstranten, die mit L-Plakaten an den verschwundenen wirklichen Drachentöter Lanzelot erinnern, wird kurzerhand beschieden, dass sie im Gefängnis landen werden. Die Frage nach der Größe des Drachens wird mit einem Blick aus der Saaltür auf ein nicht fertig werdendes Hochhaus in Steglitz beantwortet. Für die Benutzung des Fliegenden Teppich erhält Lanzelot einen Zündschlüssel in die Hand gedrückt.
Auch bei diesem Stück im Schlosspark Theater gilt die Binsenwahrheit, dass sein Erfolg ganz wesentlich von dem überzeugenden Schauspiel-Ensemble abhängig ist. An erster Stelle ist, wie so oft, der Nestor auf der Bühne Dieter Hallervorden zu nennen, der vor 15 Jahren dieses Theater in Steglitz aus seinem Dornröschenschlaf erweckte. Bei seinem ersten Auftritt im Stück wird er traditionell vom Premierenpublikum mit Szenen-Applaus begrüßt. Er liefert in der Rolle des Bürgermeisters, der sich dann selbst zum Drachen-Nachfolger und Präsidenten kürt, einen glanzvollen Auftritt ab. Hinter der Fassade eines zunächst etwas tatterig zerstreut herkommenden Beamten verbirgt sich ein gerissener Machtmensch, der die gesamte Klaviatur der Manipulation, von Bespitzelung, Bestechung, Fake-News bis zu offener Gewalt beherrscht. Das ist ganz große Schauspiel-Kunst.
An seiner Seite gibt Mario Ramos die Rolle von Sohn Heinrich, der sich als Persönlicher Sekretär des Drachen schnell als nützliches Rädchen im Machtgefüge des Drachens erweist. Georgios Tsivanoglou ist in der Rolle des sprechenden Katers Mariechen immer für eine Weisheit gut („Wenn du‘s warm und weich hast, tust du am klügsten, wenn du vor dich hindöst und schweigst und nicht über die unangenehme Zukunft nachgrübelst.“) und entpuppt sich als wahrer Unterstützer für Lanzelot. Ebenfalls überzeugend sind Helen Barke als selbstbewusste junge Frau Elsa, Christiane Zander, die gleich in fünf Rollen zu erleben ist, Fabian Stromberger als uneitler wie energischer Held Lanzelot und schließlich Anatol Käbisch in der Rolle des Drachen, der die Hinterlist und Verschlagenheit dessen Machtkonstrukts glaubhaft zum Vorschein bringt.
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Ein solches ambitioniertes Stück will den Zuschauer sowohl anspruchsvoll unterhalten, als auch Fragen aufwerfen, zum Nachdenken anregen und die Sicht auf sein Leben in der Gesellschaft schärfen. In dem Märchen wird zur Erhaltung der Macht verbrieftes Recht gebrochen, statt Taten werden Versprechen geliefert, in einem Presse-Kommuniqué werden Wahrheiten „umgedeutet“ und über allem wacht das alles sehende Auge des Drachens und seiner Nachfolger.
Kommt uns das irgendwie bekannt vor? Man fragt sich unwillkürlich, wer denn in unserer Welt die Drachen sind und was die Menschen daran hindert, sie sogar lähmt, sich bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen entgegenzustellen. Und dann lautet die nächste Frage: Wer wird der Drachentöter sein, der die Freiheit bringt? Es offenbart sich im Stück, dass die Menschen sich daran gewöhnt haben, den Drachen untertan zu sein. Sie haben es sich in ihrer vermeintlichen Sicherheit bequem gemacht. Und es scheint am Ende einfacher, einen einzelnen Drachen zu eliminieren, als die sich anpassende Unterwürfigkeit der Bevölkerung, den Untertanengeist zurückzudrängen. Der Kampf gegen die Drachen der Tyrannei muss im Kopf eines und einer jeden Einzelnen gewonnen werden. Ganz stark die Schluss-Szene des Stückes, in der sich der Bürgermeister und Drachen-Nachfolger leise davonmacht, in seinem Gepäck ein Drachenei. Wo wird die neue Drachenbrut aufgehen?
Die Inszenierung kitzelt aus allen Figuren des Märchenstücks das Skurrile und zugleich Menschliche heraus. So entgeht sie bei allem Komödiantentum der Gefahr, dass mit ihrem „Drachen“ nur ein oberflächliches Boulevardstück entstanden ist. Dieser „Drachentöter-Schau“ mit solidem Handwerk, Liebe zum Detail und Raum für veritables Schauspielertheater ist ein großer Zuschauerzuspruch garantiert. Es gilt sich rechtzeitig Karten zu reservieren.
Schlosspark Theater, Schloßstrasse 48, 12165 Berlin
Karten über die Theaterkasse (030 – 789 56 67 100) oder online über die Website www.schlossparktheater.de
„Der Drache“ wird bis zum 8. Dezember täglich außer montags gespielt,