• Do. Nov 21st, 2024

Chowanschtschina – Gewaltiges Historienepos in der Staatsoper

VonRedaktion

Jun 18, 2024

von Katharina Zawadsky

Modest Mussorgskys „Chowanschtschina“, ein Werk des späteren 19. Jahrhunderts, führt hinein in die Welt des religiösen Fanatismus und der politischen Intrigen im Russland des 17. Jahrhunderts. Durch den frühen Tod des Komponisten (1839 – 1889) blieb das Werk unvollendet. Nun stellt die Berliner Staatsoper eine von Dmitri Schostakowitsch fertiggestellte Fassung vor, ergänzt durch Igor Strawinskys effektvolles Finale, von deren überwältigendem Eindruck man noch Tage nach dem Besuch gefangen ist.

Behandelt wird der Versuch des Fürsten Iwan Chowanski, im späten siebzehnten Jahrhundert durch einen Aufstand der zaristischen Schützengarde, der Strelitzen, den Machtantritt des noch minderjährigen Thronfolgers Peter I. zu verhindern. Der tritt im Stück nur als Heranwachsender beim gelegentlichen Vermessen seiner Körpergröße in Erscheinung. Noch ist er nicht an der Macht aber man spürt seine künftige Bedeutung für die Geschicke des russischen Reiches und als Hoffnungsträger.

Zwischen 1682 und 1689 wird Moskau zum Schauplatz brutaler Kämpfe um den Thron, in deren Ausgang Zarewitsch Peter (als Zar später „der Große“ genannt) die Macht übernimmt. Dem Komponisten ging es in seinem Volksdrama nicht um eine detailgetreue Nachbildung politischer Ereignisse, sondern darum, in einer Collage aus historischen Dokumenten „das Vergangene im Gegenwärtigen“ darzustellen – eine Art Meditation über die Geschichte mit den Mitteln der Oper.

In Mussorgskis gewaltigem Geschichtspanorama geht es letztlich um „Mütterchen Russland“ in allen Facetten. Eine ebenso berührende wie beängstigende Darstellung permanenter Machtkämpfe zwischen den Eliten und ein in bitterer Armut, Unterdrückung durch Obrigkeit, Kirche und Aberglauben dahinvegetierendes duldsames Volk. Ein faszinierendes Zeitdokument der vermeintlich „russischen Seele“.

Eine riesige Herausforerung, der sich Regisseur Claus Guth mit überragendem Ergebnis gestellt hat. Mit einer konturierten, psychologisierten Zeichnung der Figuren in ihren jeweiligen Lebenswelten sind ihm beeindruckende Charakterstudien gelungen. Den historischen Gruppen der fanatischen „Altgläubigen“, der Strelitzen, der anarchistischen Einzelkämpfer und der überzeugten Zarenanhänger fügt er zeitlose leicht roboterhafte Akteure in Laborkitteln hinzu, die das Geschehen mit kühlem distanzierten Interesse beobachten und quasi die Bruchstücke des russischen Zarenreichs aus gegenwärtiger Sicht sezieren und wertfrei einordnen. Das Ganze als eine Art wissenschaftliche Versuchsanordnung. Aber das bringt wohltuende Statik und Ordnung in den überaus turbulenten und opulenten historischen Handlungsablauf. Schafft den kausalen Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Aktualität.

Unter der Leitung von Simone Young bieten die Staatskapelle Berlin sowie der Staatsopernchor (Einstudierung Dani Juris) und der Kinderchor der Staatsoper (Leitung Vinzenz Weissenburger) eine musikalische Umsetzung von überwältigender klanglicher Schönheit und Intensität. Gänsehautmomente ohne Ende. Ein Fest gewaltiger Opernchöre. Man spürt ein regelrechtes Beben im Raum.

Opernstar Marina Prudenskaya brilliert mit ihrem wunderbar satten Mezzosopran als Prophetin Marfa .Die Partie des Fürsten Iwan Chowanski atemberaubend besetzt mit dem charismatischen Bass Mika Kares. Stephan Rügamer debütiert mit strahlendem Tenor überzeugend als Wassili Golizyn, ebenso eindrucksvoll Najmiddin Mavlyanov als Andrei Chowanski, Vladislav Sulimsky als Bojar Schaklowity und Taras Shtonda als fanatisch-dämonischer Dossifei, wie den durchweg exzellent besetzten übrigen Solisten und dem gesamten Ensemble.

Letztlich nicht nur ein opulenter historischer Bilderbogen sondern ein hochpolitisches Stück, das mit brillanten Sängerdarstellern und gewaltigen Chören dreieinhalb Stunden lang im Bann hält und zu Recht vom Publikum frenetisch gefeiert wird.

Fotocredits: Monika Rittershaus

CHOWANSCHTSCHINA – Oper von Modest Mussorgski

Staatsoper Unter den Linden
Weitere Vorstellungen 16. und 23. Juni jeweils um 18.00 Uhr

Von Redaktion