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Sterne, die vom Himmel fallen

VonRedaktion

Jun 16, 2023

Gefeiertes Gastspiel von Susanne Eisenkolb im Schlosspark Theater Berlin. Foto: Anja Simon

Von Ronald Keusch
Und wieder einmal hat das Schlosspark-Theater mit seinem Intendanten Dieter
Hallervorden bei der Auswahl von Gastspielen eine glückliche Hand bewiesen.
Sie präsentieren das musikalische Schauspiel „Sterne, die vom Himmel
fallen…“, das es wahrhaft verdient, auf der Bühne einer Weltmetropole (Das ist
doch noch irgendwie die Stadt Berlin?!) aufgeführt zu werden. In der Hauptstadt
scheint sie allerdings immer öfter in Berlin-Steglitz zu stehen. Schon das Genre
„Musikalisches Schauspiel“ signalisiert, dass die australische Autorin Joanna
Murray-Smith, ganz in der Tradition bester Musical-Autoren stehend, eine
anspruchsvolle Story erzählt. Der Handlungsinhalt des Stücks, der Originaltitel
lautet: „Songs for Nobody“, ist schnell erzählt und nur auf den ersten Blick
simpel. Insgesamt fünf Frauen aus dem großen Heer der „Nobodies“ erzählen
über ihr nur kurzes Aufeinandertreffen mit fünf legendären Diven. Die
Begegnungen sind dabei eigentlich so zufällig und banal, dass sie keiner
Schlagzeile wert zu sein scheinen, aber Murray-Smith schafft es, eine
Geschichte zu weben, die berührt und die eine Verbindung zwischen dem
Gewöhnlichen und dem Außergewöhnlichen schafft.
Da ist zunächst die Toilettenfrau Beatrice Ethel Appleton, genannt Bea, in einem
New Yorker Nobelhotel, eine noch junge Frau mit ihrem gerade zerplatzten
Traum vom Glück, die mit ihrem Schicksal hadert. Dann erscheint Judy
Garland, die auf dem Höhepunkt ihrer Karriere ein denkwürdiges Konzert in
der Carnegie Hall gibt, mit einem nicht festsitzenden Kleidersaum. Bea repariert
ihn mit Nadel und Zwirn – und Judy, Weltstar und Liebling von Hollywood,
singt für sie das sehnsuchtsvolle Lied „Come Rain or Come Shine“, das Bea viel
neue Hoffnung gibt. Judys Leben selbst ist eine Achterbahnfahrt und endet früh
mit Drogen und Tabletten.

Foto: Anja Simon

Auch die anderen von der Autorin Murray-Smith ausgewählten Weltstars haben
eines gemeinsam. Ein nicht sehr langes Leben und eine Künstlerkarriere mit
vielen Höhen und Tiefen. Da ist die amerikanische Country-Sängerin Patsy
Cline. Sie bemerkt bei ihrem Konzert in der Memorial Hall in Kansas City am
5. März 1961, die talentierte Gesangstimme der Platzanweiserin Pearl Avalon,
holt sie auf die Bühne, und beide singen vor jubelndem Publikum ihren
berühmten Song „Crazy“, der Star und der Nobody. Es war ein schicksalshafter
Tag: Die große Karriere von Patsy Cline endete an diesem Tag tragisch. Das
Flugzeug, mit dem sie nach Nashville zurückkehren wollte, stürzte ab. Sie
wurde nur 30 Jahre alt. Die kleine Karriere der Platzanweiserin begann. Sie

konnte ihren Traum verwirklichen, auch wenn sie als Background-Sängerin nie
ganz vorn im Rampenlicht stehen wird.
Da ist die englische Bibliothekarin Edie Delamotte. Sie verehrt die französische
Sängerin Édith Piaf, obwohl sie ihr nie begegnet ist. Ihr Vater, ein inhaftierter
Kämpfer der Resistance, wurde von der Piaf einen Tag, bevor er nach Dachau
hätte abtransportiert werden sollen, aus dem KZ geschmuggelt. Edie sinniert, wo
sie wohl wäre, wenn ihr Vater nicht überlebt hätte. Und sie sucht am
Sternenhimmel den Stern der Édith Piaf: „Non, je ne regrette rien“ – „Nein, ich
bereue nichts“, das wohl eindrucksvollste Lied des Abends.
In der vierten Begegnung trifft die ehrgeizige junge Journalistin der New York
Times Too Junior Jones auf die amerikanische Jazz-Sängerin Billie Holiday.
Die farbige Sängerin, häufig in gleichem Atemzug mit Ella Fitzgerald genannt,
leidet unter ihrer Diskriminierung als Farbige und zunehmend unter Schwermut.
An dieser Stelle wird auch recht treffend über die unheilvolle Rolle der
Zeitungen in der Musikszene gesprochen. Billie Holidays Lied „Ain’t Nobody’s
Business If I Do“ wird auch zu einem Leitspruch für die Journalistin: „Es gibt
nichts, was ich tun kann, oder was ich sagen kann, dass die Leute mich nicht
kritisieren, aber ich werde es tun so wie ich es will !“
Den Schlusspunkt setzt die Begegnung des Kindermädchens Orla McDonagh,
das auf der Luxus-Fregatte des ominösen Reeder-Milliardärs Ari Onassis
mitfährt, mit der gefeierten Opern-Diva Maria Callas. Die Dekadenz der
Schönen und Reichen dieser Welt steht im krassen Gegensatz zu der schönen
und reinen Stimme der Callas. „Vissi d’arte, vissi d’amore“– die Arie der Tosca
aus der gleichnamigen Puccini-Oper, ist für den Nobody an Bord ein Kipppunkt
für ihr Leben.
Ist die Melange von diesen fünf Weltstars und den Personen, die sie treffen,
schon hinreichend bunt, stellt sich doch geradezu zwingend und dezidiert die
Frage: Gibt es überhaupt eine Künstlerin, die diese fünf plus fünf Rollen spielen
und natürlich auch singen kann? Gibt es eine Schauspielerin und Sängerin, die
dazu den Mut und das Selbstbewusstsein aufbringt?
Das Publikum im Schlosspark Theater hat sie kennengelernt. Es ist die
vielseitige gebürtige Wienerin Susanne Eisenkolb, die ihre Ausbildung in
Schauspiel, Gesang und Tanz im traditionsreichen Studiotheater an der Wien
absolvierte und schon sehr bald Hauptrollen in Musicals wie My Fair Lady,
Grease oder The Sound of Music spielte. Heute ist sie eine viel gefragte
Künstlerin auf Theater- und Musical-Bühnen und im Fernsehen. Wenn man nur
eine gute Schauspielerin oder nur eine gute Sängerin ist, könnte man dieses

Repertoire nicht allein stemmen, mit all den nahtlosen Übergängen von Person
zu Person, immer im gleichen dunklen Kostüm und der gleichen Frisur. Sicher
hat der Künstlerin bei diesen zehn Rollen geholfen, dass sie sich, wie auf ihrer
Website zu lesen, seit langen „mit dem Zusammenspiel von Körper, Atem,
Stimme und einem persönlichen, authentisch stimmlichen Ausdruck
beschäftigt.“
Susanne Eisenkolb schafft es, eine Synthese zwischen Schauspiel und Gesang
herzustellen, zur Freude und Begeisterung des Publikums. Ein weiterer
Grundstein für den erfolgreichen Auftritt ist zweifellos die Live-Band mit drei
herausragenden Musikern. Auch die Regie von Stefan Huber sorgte für einen
Abend mit eleganter Szenen-Abfolge und dem Einsatz der Musiktitel. Die
meisten Zuschauer und auch ich hätten es sicher honoriert, wenn zusätzlich der
eine oder andere Titel der Weltstars im Programm zu hören gewesen wäre. Das
gesangliche Vermögen hatte Susanne Eisenkolb dafür in jedem Fall. Wie sie am
Schluss der Aufführung die technisch schwierige Tosca-Arie in die
Zuschauerränge schmetterte, ohne diese in eine tiefere Tonart transponieren zu
müssen, war schon aller Ehren wert. Standing Ovation und ein nicht enden
wollender Beifall der Zuschauer forderte vielfache Vorhänge. Schade, dass bei
der Premiere einige wenige Sitzreihen im Theater frei geblieben sind. Aber im
Juli kann der Besuch noch nachgeholt werden.
Das Stück der Begegnungen mit den Weltstars und immer mit Susanne
Eisenkolb ist zweifellos ein Höhepunkt in der zu Ende gehenden Spielzeit vor
der kurzen Sommerpause. Der Start in die nächste Saison bereits am 19. und 20.
August mit einem Paukenschlag, den „Stationen eines Komödianten“. Dieter
Hallervorden präsentiert zusammen mit Harald Effenberg Höhepunkte seiner
Bühnenkarriere. Wer ihn nicht verpassen will, muss sich mit der Reservierung
der Karten mächtig sputen.
https://www.schlossparktheater.de/

Quelle: www.keusch-reisezeiten.de

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